Neue Sozialwohnungen an der Schlossstraße/Ecke Schwabstraße im Stuttgarter Westen: Solche Bauvorhaben werden immer seltener. Foto: dpa

Sozialmieter müssen bis zu 16 Monate auf eine Wohnung warten, der Bau günstigen Wohnraums stagniert. Der Gemeinderat befasst sich erneut mit der Situation und jetzt auch mit der Klage von Genossenschaften über die Probleme im Sozialwohnungsbau.

Stuttgart - „Die Bautätigkeit für Sozialwohnraum ist seit Jahren rückläufig, und der Wohnungsmangel ist in der Vormerkdatei angekommen“, sagt Erhard Brändle, der Leiter des Wohnungsamts. Als er den Stadträten im Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen Bericht über das erste halbe Jahr 2012 erstattet, macht er deutlich, dass sein Amt mit dem Rücken zur Wand steht: Er geht davon aus, dass die Notfälle bis zum Ende des Jahres um 20 Prozent steigen werden. Seit Anfang der 1990er Jahre ist die Zahl der Wohnungen mit städtischem Belegungsrecht (Sozialwohnungen) um die Hälfte auf jetzt 16.500 zurückgegangen.

Bis zur Jahreshälfte waren 3051 Haushalte auf der Liste der Wohnungssuchenden, im Vergleich zum Vorjahr fast acht Prozent mehr. 55 Prozent der Suchenden sind alleinstehend und müssen, aus Mangel an kleinen Wohnungen in der Landeshauptstadt, mit zurzeit 14 bis 16 Monaten am längsten auf eine Vermittlung warten. Vier- und Mehrpersonenhaushalte bekommen im Durchschnitt nach neun bis 13 Monaten, Zwei- und Dreipersonenhaushalte nach sechs Monaten eine Sozialwohnung vermittelt. Im ersten Halbjahr 2012 fand sich für 533 Suchende eine passende Unterkunft; 1623 Haushalte gelten als Not- und Dringlichkeitsfälle.

Dieses Jahr fördert die Stadt den Bau von 128 Wohnungen, darunter sind aber lediglich 43 Sozialwohnungen. 16 Wohnungen sind für mittlere Einkommensbezieher, neun Wohneinheiten als preiswertes Wohneigentum gedacht. Wo preiswert Wohnraum entsteht, ist die Nachfrage riesig: In Hedelfingen (Am Bergwald) waren die neun Reihenhäuser innerhalb von zwei Wochen verkauft.

Das Wohnungsamt rät dringend zu höheren Zuschüssen für Bauherren

Weniger groß ist die Nachfrage nach Fördermitteln des Landes für den Sozialwohnungsbau. In diesem Jahr stehen 33 Millionen Euro Fördergelder zur Verfügung, doch nur knapp ein Drittel wurde bisher abgerufen. „Wohnungswirtschaft und Investoren lehnen das Programm vielfach als unattraktiv ab“, sagt Eberhard Brändle. Hausbanken und die Kreditanstalt für Wiederaufbau würden außerordentlich günstige Konditionen bieten, so dass die Baufirmen ihr Vorhaben auch ohne Belegungsrechte sehr günstig finanzieren könnten.

Das Wohnungsamt rät daher dringend zu höheren Zuschüssen für Bauherren, höheren steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten, zu mehr Bautätigkeit und zur Abschaffung der vom Land vorgegebenen „energetischen Zwangssanierung“ beim Kauf älterer Immobilien, „die ist ein Hemmschuh“, so Brändle. Das Land sollte aus der Pflicht eine Option fürs Energiesparen machen.

Die genossenschaftlich organisierten Bauträger in der Stadt haben jüngst im Meinungsaustausch mit Stadträten bemängelt, dass der Verwaltungsaufwand für Sozialwohnungen sehr hoch sei. Statt eines Hausmeisters sei ein Sozialarbeiter nötig, die Objekte würden schnell heruntergewirtschaftet. „Innerhalb von 25 Jahren sind die Wohnungen generalsanierungsbedürftig“, sagt Thomas Wolf, Sprecher der AG Stuttgarter Wohnungsunternehmen.

20-prozentigen Anteil an geförderten Wohnungen nachweisen

Zur Arbeitsgemeinschaft gehören 15 Genossenschaften und sechs Gesellschaften, darunter die Städtische Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG). Alle zusammen bewirtschaften 14.000 der 16.500 Sozialwohnungen in der Stadt, die SWSG allein 7800. Während Genossenschaften früher vorwiegend neu bauten, konzentriert sich ihr Geschäftsfeld mangels Bauflächen nun auf Nachverdichtung und Renovierung.

Seit die Stadt das Stuttgarter Innenentwicklungsmodell (Sim) beschlossen hat, müssen Bauherren, wenn für ihr Vorhaben neues Planrecht gilt, einen 20-prozentigen Anteil an geförderten Wohnungen nachweisen. Laut Brändle scheint die Regelung langsam zu greifen, 2014 sollen auf diese Weise 501 Wohnungen geschaffen werden. Die Wohnbaugenossenschaften fordern hingegen Erleichterungen vonseiten der Stadt, auch bei der Bearbeitung ihrer Bauanträge.

Die SPD-Fraktion im Gemeinderat schlägt einen kontinuierlich stattfindenden Runden Tisch vor, doch ob Stadt und Genossenschaften zu einem Kompromiss kommen, ist offen. Die Grünen haben inzwischen beantragt, die 20-Prozent-Quote soll generell beim Verkauf städtischer Grundstücke gelten. Finanzbürgermeister Michael Föll sagte dem Gemeinderat für diese Woche eine Stellungnahme zu. Bettina Wilhelm fordert gar eine 50-Prozent-Quote bei Neubauprojekten. Die von der SPD unterstützte OB-Kandidatin kündigt ferner an, den Aufsichtsratsvorsitz bei der SWSG übernehmen zu wollen – bis jetzt ist das Fölls Posten.