1800 Lkw steuern Tag für Tag das Daimler-Werk in Sindelfingen an. Am Montag war darunter erstmals ein Lang-Lkw. Weitere Strecken sollen in den nächsten Wochen folgen.
Sindelfingen - Um sechs Uhr morgens herrscht an Tor 5 vor dem Daimler-Werk in Sindelfingen Hochbetrieb. Über den Himmel rasen dunke Wolkenfetzen, unten stehen die Sattelzüge Schlange, um auf das Gelände fahren zu dürfen. Ein halbe Stunde später als angekündigt biegt Rüdiger Elflein mit seinem orangefarbenen Lang-Lkw um die Ecke. Problemlos passiert er die Einfahrt, fährt gemächlich an den Kamerateams und Fotografen vorbei in Richtung Lagerhalle. Es ist der erste XXL-Laster, der das Werk ansteuert, nachdem der Bund vergangene Woche die Teilnahme Baden-Württembergs am Feldversuch mit den 25,25 Meter langen Fahrzeugen genehmigt hat. Im Gepäck hat Elflein Kunststoffteile eines Zulieferers aus Bautzen für die E-Klasse. Bisher musste er diese am Hauptsitz des Logistikunternehmens in Bamberg umständlich auf zwei kleinere Lastwagen umladen. Seit eineinhalb Jahren saß Elflein nicht mehr selbst am Steuer, jetzt steigt er gut gelaunt aus dem Fahrzeug.
Während Elflein im Minutentakt Interviews gibt, beginnt sein Mitfahrer mit dem Ausladen. Der Lastwagen parkt vor der Abladestelle 38 c. Die Planen werden zur Seite gezogen. Zum Vorschein kommen Gitterboxen mit schwarzen Plastikteilen. Es sind Radabdeckungen für die E-Klasse, die hier in Sindelfingen produziert wird. Ein Gabelstapler lädt die Boxen auf, dreht um und verschwindet in der Halle. Nach wenigen Minuten ist der Lkw entladen. Sollte er nach dem Feldversuch auch im Regelbetrieb weiterfahren dürfen, müsste Daimler zumindest die Stellplätze auf das notwendige Maß verlängern. „Bisher sind diese nur für normale Lastwagen ausgelegt“, sagt Ronny Spichtinger, Transportplaner bei Daimler. Nach der versuchsweisen Freigabe für die Langlaster sollen in den nächsten Wochen weitere Strecken hinzukommen. Zwei Lang-Lkw verkehren dann von Bautzen nach Rastatt, wo die Kompaktwagen gebaut werden. Dazu kommt ein weiteres Fahrzeug, das von Treuen in Sachsen ebenfalls nach Sindelfingen fährt. Die vier Langlaster ersetzen dann sechs normale Lkw. Daimler wäre auch gerne in die Sprinter-Werke Ludwigsfelde und Düsseldorf gefahren. In Nordrhein-Westfalen darf diese Version des XXL-Lasters jedoch nicht verkehren.
In einer der Logistikhallen haben sich die Transportplaner von Daimler versammelt, um den Journalisten Rede und Antwort zu stehen. Jeden Tag steuern 1800 Lkw das Werk in Sindelfingen an, von dieser Zahl will Daimler runter. „Wir versuchen, jeweils die optimalen Verkehrsträger einzusetzen“, sagt Ronny Spichtinger. So habe man den Anteil von Bahntransporten bei Fahrzeugauslieferungen von 30 auf 75 Prozent erhöht. Die Gefahr einer Rück-Verlagerung von der Schiene auf die Straße durch den Lang-Lkw sieht Spichtinger nicht.
Auf der Schiene werden schwere Teile und Massengüter bewegt, der Lang-Lkw ist jedoch nur für leichte und sperrige Fracht geeignet. „Dafür kommen nur zwischen drei und neun Prozent der Fahrten infrage“, so Spichtinger. Die Zahl reduziere sich noch, weil organisatorisch am Ende nicht alle Verbindungen wirklich mit überlangen Fahrzeugen bedient werden könnten. Zudem sei der Transportweg Schiene im Werk Sindelfingen ausgereizt, keine Kapazitäten mehr verfügbar.
Teil der Vereinbarung mit dem Verkehrsministerium Baden-Württemberg, das den Gigalinern grundsätzlich kritisch gegenübersteht, war eine wissenschaftliche Studie. Sie soll die Vor- und Nachteile von Lang-Lkw untersuchen. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) befürchtet nach wie vor, dass die Schiene gegenüber der Straße durch den Einsatz der Riesenlaster ins Hintertreffen geraten könnte. Die Kosten für die Studie wollen sich Daimler und das Land teilen. „Im Moment laufen die europaweiten Ausschreibungen, im Herbst wollen wir starten“, sagt Daimler-Manager Dieter Schoch, im Transport zuständig für die Außenbeziehungen.
Unten auf dem Werkgelände steigt Rüdiger Elflein ins Führerhaus. Der orangefarbene Lang-Lkw setzt sich wieder in Bewegung. Wie ein gemütlicher Elefant setzt er seinen Weg zwischen den Lagerhallen hindurch fort. Bei der Leergutstelle holt er noch die Gitterboxen ab. Dann geht es durch Tor 5 zurück auf die Autobahn in Richtung Bautzen, wo die nächste Ladung wartet. Am nächsten Morgen gegen sieben Uhr wird er wieder in Sindelfingen sein.