Die landwirtschaftliche Tierhaltung steht zunehmend in der Kritik. Doch wie lässt sich mehr Tierwohl durchsetzen – und angesichts niedriger Fleischpreise bezahlen? Und wie kann man überhaupt feststellen, wann sich ein Tier wohlfühlt? Eine Fachtagung an der Universität Hohenheim sucht nach Antworten.

Stuttgart - Als die Tür aufgeht, kommt kurz Unruhe auf. Doch die Bewohner merken schnell, dass von den Besuchern keine Gefahr ausgeht. Neugierige Augen blicken durch Gitterstäbe, empfindliche Nasen recken sich der in weiße Overalls gewandeten Gruppe entgegen. In einer der Boxen stehen zwei junge Schweine – eines trägt einen gelben, das andere einen lila Streifen auf dem Rücken. „Dank der Markierung können wir die Tiere auf den Videoaufnahmen besser erkennen“, sagt Linda Wiesner. Die Agrarstudentin untersucht im Rahmen ihrer Masterarbeit, womit sich Schweine am liebsten beschäftigen, wenn sie die Wahl haben. Die Erkenntnisse sollen Antworten auf die Frage geben, wie sich Ställe tierfreundlicher gestalten lassen.

Auf der linken und rechten Seite der Box befindet sich jeweils eine Tür, durch die die Tiere in die benachbarten Boxen gelangen können. Links baumelt eine lose Kette an der Wand, rechts lädt Erde zum Wühlen ein. Das Wahlergebnis ist eindeutig: Gelb und Lila entscheiden sich nach kurzer Zeit für die rechte Box und stecken ihre Schnauzen in den feuchten Boden. Auch Wildschweine haben bekanntlich ein Faible für diese Beschäftigung. Ähnlich interessant ist nur die Studentin selbst, die sich für den Fotografen in die Box begeben hat. Wenn Menschen im Stall sind, verfälscht das die Ergebnisse. „Deshalb beobachten wir die Tiere über eine Webcam“, sagt Wiesner und zeigt in Richtung Stalldecke. Hinter der Wühlerde folgt auf Platz zwei der Beliebtheitsskala Stroh, auf Rang drei und vier liegen die besagte Kette und ein leerer Kunststoffkanister.

„Es gibt viele Indikatoren dafür, dass es einem Tier schlecht geht“, sagt Volker Stefanski, Professor für Verhaltensphysiologie der Nutztiere an der Universität Hohenheim. Die Frage, wann es einem Tier gut geht, sei dagegen nicht so leicht zu beantworten. „Unser Ansatz ist es, die Tiere selbst zu fragen, was sie wollen“, erläutert Stefanski. Dazu dienen Wahlversuche wie der von Linda Wiesner auf der Versuchsstation Unterer Lindenhof in Eningen (Landkreis Reutlingen). Zudem untersuchen die Forscher, wie die Tiere reagieren, wenn ihnen die eine oder andere Beschäftigungsmöglichkeit wieder entzogen wird. Zusätzliche Informationen sollen Bluttests bringen, bei denen Stresshormone und der Zustand des Immunsystems untersucht werden, das sehr sensibel auf Stress reagiert. Damit ließe sich das Wohlergehen der Tiere auch mit exakten Labordaten belegen.

Kritik vom Wissenschaftlichen Beirat

Das Thema Tierwohl hat zuletzt eine steile Karriere hingelegt. Tier- und Umweltschützer demonstrieren gegen immer größere Stallanlagen, zu wenig Platz oder fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten. Auch Agrarexperten sehen die Zustände in den Ställen zunehmend kritisch. So hält der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik die heutige Form der Tierhaltung in vielen Bereichen für nicht zukunftsfähig. Viele fragen sich, ob es wirklich nötig ist, dass Ferkel ohne Betäubung kastriert oder Schwänze gestutzt werden, um Kannibalismus in dicht belegten Ställen zu verhindern.

„Der Fokus der Gesellschaft auf die Tierhaltung hat sich dramatisch verändert“, sagt Thomas Jungbluth, Professor für Verfahrenstechnik der Tierhaltungssysteme in Hohenheim. Das bringt für die Agrarforscher neue Fragestellungen mit sich. „Früher ging es beim Stallbau vor allem um die Optimierung der Produktion“, erinnert sich Jungbluth. Heute gehe es auch darum eine Umwelt zu schaffen, „in der das Schwein glücklich ist“. Das Problem sei allerdings, „dass ein Landwirt damit auch noch Geld verdienen muss“. Das sei bereits in den heutigen Ställen nicht einfach. 15 bis 20 Euro verdient ein Mastbetrieb pro Schwein. Im vergangenen Jahr lohnte sich die Mast wegen des Preiseinbruchs am Schweinemarkt für viele gar nicht mehr. Entsprechend schwer tun sich Betriebe mit Investitionen in tierfreundlichere Ställe. Daran ändert bis jetzt auch die Tierwohl-Initiative von Fleischwirtschaft und Handel nicht viel, die zusätzlichen Platz im Stall, Auslauf im Freien oder Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere mit Boni honoriert. Dafür verlangt der Handel pro Kilo Fleisch vier Cent mehr – viel zu wenig, monieren Kritiker „Trotzdem ist die Initiative ein Schritt in die richtige Richtung“, findet Stefanski.

Zielkonflikte gibt es auch zwischen Tier- und Umweltschutz. „Wenn Tiere Auslauf haben, steigen die Feinstaub- und Ammoniakemissionen“, sagt Jungbluth. Auch die Geruchsbelastung sei höher. Mit der Novelle der TA-Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft), die für 2017 geplant ist, stehe eine weitere Verschärfung der Vorschriften ins Haus. Ställe mit Auslauf könnten dann kaum noch genehmigt werden, warnt Jungbluth. Im schlimmsten Fall müsste man die offenen Laufställe für Rinder „wieder zunageln“.

Bestandsgröße ist kein entscheidender Faktor

Die Größe der Tierbestände ist nach Ansicht der Hohenheimer Experten trotz wachsender Kritik an der „Massentierhaltung“ kein entscheidender Faktor. Auch in großen Ställen könne man Tiere artgerecht halten, wenn Stalleinrichtung, Organisation und Arbeitsabläufe stimmten. Helfen sollen dabei moderne IT-Systeme. „Wenn jedes Schwein einen Chip im Ohr hat, merkt man schneller, ob etwas nicht stimmt“, sagt Jungbluth. So gingen kränkelnde Tiere seltener zum Futterautomaten oder würden kaum noch trinken. „Mit Big Data könnte man ein Frühwarnsystem aufbauen“.

Die Muttersauen in der „Stroharena“ sehen nicht so aus, als ob sie gesundheitliche oder sonstige Probleme hätten. Gelassen dösen die trächtigen, bis zu 220 Kilo schweren Tiere vor sich hin. Stress gibt es nur, wenn zu einer bestehenden Gruppe neue Tiere hinzukommen. Dann muss – ähnlich wie auch bei Menschen – erst mal die Rangfolge neu geklärt werden. Für das Wohlergehen sorgen auch Bürsten und eine „On-Demand-Dusche“, die sich per Schnauzendruck starten lässt. Doch dafür ist es den Sauen heute zu kalt.

Nutztiere in Deutschland

Bedeutung Knapp die Hälfte der Verkaufserlöse der deutschen Landwirte entfallen auf tierische Produkte. 2015 waren das knapp 24 Milliarden Euro. Allein zehn Milliarden Euro stammen aus der Milcherzeugung.

Rinder
In Deutschland wurden im vergangenen Jahr rund 12,6 Millionen Rinder gehalten. Davon waren knapp 4,3 Millionen Milchkühe. Der Rest entfällt auf Jung- und Masttiere.

Schweine
Hierzulande leben gut 28 Millionen Schweine. Rund zwei Millionen davon sind Zuchtsauen, die im Durchschnitt je 33 Ferkel pro Jahr bekommen. Geschlachtet wurden im vergangenen Jahr gut 59 Millionen Schweine.

Hühner
In Deutschland wurden im vergangenen Jahr rund 114 Millionen Hühner gehalten, davon knapp 40 Millionen Legehennen.