Im Amt des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern bestätigt: Erwin Sellering, Spitzenkandidat der SPD, während der Stimmabgabe in Schwerin. Foto: dpa

Selten haben Themen, die mit dem Land praktisch nichts zu tun haben, eine Landtagswahl so sehr dominiert. Im Falle Mecklenburg-Vorpommerns ist das besonders grotesk, meint Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart. - Kaum ein Bundesland, in dem der Fremdenverkehr einen so hohen Anteil an der Wirtschaftsleistung hat wie in Mecklenburg-Vorpommern. Ausgerechnet dort kommen die fremdenfeindlichen Parteien AfD und NPD zusammen auf fast ein Viertel der Wählerstimmen. Das gilt es als wichtigstes Ergebnis neben der Bestätigung des SPD-Ministerpräsidenten Erwin Sellering im Amt festzuhalten. Wobei es nur ein schwacher Trost ist, dass die NPD nun auch aus diesem Landtag fliegt.

An Flüchtlingen kann der AfD-Erfolg nicht liegen. Mecklenburg-Vorpommern müsste nach dem geltenden Verteil-Schlüssel nur 2,04 Prozent aller Flüchtlinge aufnehmen, die nach Deutschland kommen, und liegt deutlich unter diesem Soll. Wer in Rostock, Schwerin oder Stralsund nach dunkelhäutigen Menschen Ausschau hält, kann lange suchen. Erst recht auf dem Land in diesem Land.

An irgendetwas mit Islam kann der Rechtsdrall auch nicht liegen. Fast 80 Prozent der Einwohner Mecklenburg-Vorpommerns bezeichnen sich als konfessionslos, knapp 20 Prozent als Christen. Von Muslimen oder Moscheen im Nordosten hat man kaum je gehört. Mal abgesehen von jener in Parchim, deren Eingang vor wenigen Tagen zugemauert wurde – mutmaßlich von Fremdenfeinden.

Eine groteske Wahl in Mecklenburg-Vorpommern

Das Groteske an dieser Wahl ist daher, dass fast alle Parteien so getan haben, als gehe es um Entscheidungen über Flüchtlinge oder über die Rolle des Islam. Obwohl die meisten Wahlberechtigten diese Themen nur vom Hörensagen kennen, weil sie in Mecklenburg-Vorpommern praktisch keine Rolle spielen.

Das im Blick zu behalten hilft auch dabei, das Nachwahl-Getöse richtig einzuordnen: um den Anteil der Kanzlerin am Zurückfallen ihrer CDU hinter die AfD im Schweriner Landtag oder um die wachsenden Spannungen in der Koalition im Bund von CDU, CSU und SPD.

Was diese Wahl allerdings eindeutig bestätigt, ist: Es gibt in Deutschland ein nationalistisches, rechtes Wählerpotenzial. Es ist erheblich. In der AfD findet es eine kampagnenfähige Plattform. Das wird die politische Landschaft auf Jahre prägen.

Für Mecklenburg-Vorpommern hat das viel stärkere Auswirkungen als zum Beispiel für Baden-Württemberg. Das Land hat seit 1990 mehr als 300 000 seiner damals 1,9 Millionen Einwohner verloren. Die Abhängigkeit seiner Wirtschaft vom Tourismus wird weiter zunehmen. Womöglich spricht sich das eines Tages sogar bis zur Ostseeküste durch.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de