Auch wenn die CDU Federn lassen muss: Sie dominiert im Südwesten noch immer die politische Landschaft. Foto: dpa

Noch ist die Dominanz der CDU in Baden-Württemberg nicht gebrochen. Doch die Grünen holen auf. Das hat spätestens die Landtagswahl gezeigt.

Stuttgart - Wer ist denn nun die Baden-Württemberg-Partei? Jahrzehntelang stand dieser Titel unbestritten den Christdemokraten zu, weil sie an allen Schalthebeln der Macht saßen und mit Recht behaupten durften, eine Mehrheit zu repräsentieren. Doch seit sich am Wahlabend die tiefschwarze Landkarte Stück für Stück grün einfärbte, steht die These im Raum, die CDU sei von den Grünen als dominierende Kraft abgelöst, ganz so, wie sie Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Wahlkampf apostrophiert hatte: als „neue Baden-Württemberg-Partei“.

Man muss nur die Schwankungen der Wahlergebnisse betrachten, um zu erkennen, dass ein solches Etikett nicht mehr ist als Propaganda. Denn jeder weiß, dass die Bindungskraft der Menschen zu Parteien nur noch gering ist. Wer heute für sich in Anspruch nimmt, die Befindlichkeit eines Landes auf einen Nenner zu bringen, kann schon morgen überrollt werden – wie beim Thema Flüchtlinge. Der Anspruch ist schon arithmetisch falsch, denn die Zeiten, da Mandate mit 50 und mehr Prozenten errungen wurden, sind passé. Bei aller Beliebtheit von Kretschmann stehen am Ende eben doch nur 30,3 Prozent für die Grünen.

Das Etikett trifft aber auch deshalb nicht, weil es so etwas wie eine politische Struktur dieses Landes gibt. Und die ist trotz aller Stimmenverluste noch immer von der CDU geprägt. Wer das nicht glaubt, sollte den „vorpolitischen Raum“ betrachten – also jenes Feld, auf denen Politiker ehrenamtlich arbeiten, indem sie ihre Verbindungen und Fähigkeiten einbringen. Parteipolitik schimmert da nur schwach durch, aber sie ist da. Ob beim Blasmusikverband oder beim Landessportbund, ob beim Roten Kreuz oder beim Landesmusikverband: stets findet sich ein aktiver oder Ex-CDU-Politiker, der die Organisation führt.

Der „vorpolitische Raum“

In fünf Jahrzehnten Regierungszeit hat die Partei aber auch den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisationen ihren Stempel aufgedrückt – von der AG Wasserkraftwerke bis zum SWR. Wer es in Verwaltung, Schule und Justiz zu etwas bringen wollte, benötigte ohnehin das schwarze Parteibuch. Diese Imprägnierung wirkt tiefer als jeder Wahlkampf und wurde durch den Regierungswechsel 2011 keinesfalls abgewaschen. Und nicht zuletzt muss man anerkennen, dass es der CDU lange Zeit gelang, das Lebensgefühl vieler Baden-Württemberger zu spiegeln. Dass sie dieses Potenzial noch immer abrufen kann, hat sie zuletzt bei der Bundestagswahl 2013 bewiesen, als sie rund 46 Prozent der Stimmen holte.

In den großen Städten hat die Partei diese Fähigkeit aber längst eingebüßt. Weite Kreise können hier mit den gesellschaftspolitischen Positionen der CDU nicht mehr viel anfangen, und das geht mittlerweile weit über die alternativen Milieus hinaus. Auch im ländlichen Raum sind die Dinge im Fluss. Während sich die SPD hier fast völlig verabschiedet hat, wildern die Grünen zunehmend bei der CDU-Stammklientel, etwa bei den Bauern. Und im vorpolitischen Raum – dazu zählen auch die Naturschutzverbände – haben die Grünen ebenfalls Wurzeln geschlagen. Bei den Kommunalwahlen vor zwei Jahren legten sie jedenfalls zu, während die CDU Stimmen einbüßte – wenn auch auf hohem Niveau.

Man sollte die Rolle der CDU für den Südwesten also nicht unterschätzen. Nachrufe wären völlig verfehlt, das wird sich spätestens in der Ära nach Kretschmann zeigen. Doch die Grünen erfüllen eine wichtige Bedingung, um weiter aufzuschließen: Sie sind Volkspartei in dem Sinn, dass sie nicht nur Nischen und Klientelgruppen bedienen, sondern von allen Bevölkerungsschichten gewählt werden. Das sollte der CDU kalten Schauer über den Rücken jagen.