Debatten des Landesparlaments können Bürger zuhause verfolgen. Foto: dpa

In Hessen wird das Livestreaming aus dem Parlament eingestellt – im baden-württembergischen Landtag gibt es solche Pläne nicht. Hier können nun auch Gehörlose die Debatten verfolgen.

Stuttgart - Landtagsdebatten können durchaus amüsant sein – etwa, wenn ein Politiker einem anderen „die Figur eines Profiboxers“ bescheinigt, so wie es kürzlich Wolfgang Reuther (CDU) gegenüber Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (Grüne) tat. Wo politisch gestritten wird, ist häufig Polemik im Spiel.

Die Bürger können das bequem von zu Hause aus in Echtzeit verfolgen, denn alle 16 Länderparlamente in Deutschland übertragen die Plenarsitzungen im Internet per Livestreaming. In Hessen wird sich das jedoch bald ändern: Dort hat der Ältestenrat beschlossen, die Live-Übertragung aufgrund der hohen Kosten und der vergleichsweise geringen Zuschauerzahlen einzustellen. Bis zum Sommer soll stattdessen ein Videoarchiv der Debatten eingerichtet sein, über das die Sitzungen, allerdings zeitverzögert, aufgerufen werden können, teilte ein Sprecher des hessischen Landtags mit.

Nach Einschätzung von Ortwin Renn, Professor am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart, wird dabei aber „an den falschen Ecken gespart“. Die Direktübertragung aus dem Parlament sei gegenüber dem Bürger ein „Vertrauensbeweis“, der das Geld wert sei, selbst wenn nur wenige das Angebot nutzen.

In Baden-Württemberg, wo das Plenum normalerweise zweimal monatlich einen ganzen und einmal monatlich einen halben Tag zusammenkommt, gibt es Pläne wie in Hessen derzeit nicht, erklärte Pressesprecher Quintus Scheble. Seit Oktober 2003 werden Debatten per Livestream auf der Homepage des Landtags übertragen. In den ersten drei Monaten gab es damals im Durchschnitt zwischen 330 und 600 Zuschauer je Sitzung, heute schwankt die Nutzerzahl Scheble zufolge zwischen rund 1900 Zuschauern an einem halben und bis zu 3500 an einem ganzen Plenartag.

„Insgesamt hat sich also die Zahl der Zugriffe erfreulich nach oben entwickelt“, bilanziert der Sprecher. Es gibt aber es keine detaillierten Informationen dazu, wer sich die Sitzungen anschaut. „Aus den Rückmeldungen, die wir in Einzelfällen bekommen, lässt sich jedoch schließen, dass unter anderem Medienvertreter, die nicht vor Ort sein können, das Angebot nutzen, und vor allem diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die Interesse an einem bestimmten Tagesordnungspunkt haben.“

"Das muss uns Demokratie wert sein"

Die Kosten für die Übertragung sind Scheble zufolge in der Pauschale enthalten, die der Landtag für den gesamten Betrieb seiner Internetpräsenz bezahlt. Diese Pauschale beläuft sich auf 2975 Euro im Monat – etwa ein Drittel davon betreffen das Livestreaming.

„Das muss uns eine Demokratie wert sein“, sagt Karl Ulrich Templ, stellvertretender Direktor der Landeszentrale für politische Bildung. Grundvoraussetzung für eine Demokratie sei, dass die Möglichkeit besteht, sich zu informieren – und zwar unabhängig davon, ob das Angebot tatsächlich genutzt werde. Das betont auch Ortwin Renn: „Allein die Tatsache, dass die Bürger die Sitzungen live verfolgen können, schafft Transparenz und damit Vertrauen.“ Hinzu kommt: „Das Livestreaming ist die einzige Möglichkeit, ungefiltert an den Debatten teilzunehmen“, sagt Templ.

Neben Bayern und Niedersachsen bietet auch Baden-Württemberg zusätzlich einen barrierefreien Livestream aus dem Landtag an. Dabei übersetzt ein Gebärdensprachdolmetscher das Gesagte, das außerdem schriftlich unterlegt wird. Markus Fertig, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands der Gehörlosen Baden-Württemberg, ist von dem Angebot begeistert. „Ich bin sehr zufrieden“, sagt er.

Ein Gebärdensprachdolmetscher sei besser als Untertitel, weil er auch transportieren könne, wie ein Politiker spricht. Schon länger habe sich der Landesverband für den barrierefreien Dienst eingesetzt. Übertragen wird seit November 2014.

Fertig wünscht sich mehr Gebärdensprachdolmetscher im politischen Bereich, weiß aber auch, welche Schwierigkeiten damit verbunden sind: „Die Frage ist immer, wer die Kosten trägt.“ Für das Angebot des barrierefreien Livestreams fallen pro ganztägiger Plenarsitzung durchschnittlich rund 4860 Euro zusätzlich an, teilt der Landtag mit. Zahlen zur Nutzung gibt es bisher nur für die ersten beiden Monate: An ganztägigen Plenarsitzungen gab es im Durchschnitt 164 Zugriffe auf das barrierefreie Angebot.

„Manche interessieren sich einfach nicht für Politik, und viele müssen ja auch arbeiten, wenn die Sitzungen stattfinden. Ältere Menschen haben hingegen häufig die technischen Möglichkeit nicht. Das ist also wie bei den Hörenden auch“, erklärt Markus Fertig. Von den Gehörlosen, die die Landtagsdebatten verfolgen, habe er jedoch viele positive Rückmeldungen erhalten. Landesgeschäftsführer Daniel Büter ergänzt: „Es ist für uns eine Neuerung und fabelhafte Verbesserung, dass wir nun nicht mehr die letzten sein müssen, die die Inhalte erst durch Medien wie etwa Zeitung, Fernsehen oder Internet erfahren. Dadurch fühlen wir uns gleich behandelt wie alle anderen Bürger.“

Stichwort: Livestream

Stichwort: Livestream

Streaming Media bezeichnet die gleichzeitige Übertragung und Wiedergabe von Video- und Audiodaten über ein Netzwerk. Den Vorgang der Datenübertragung selbst nennt man Streaming, und übertragene („gestreamte“) Programme werden als Livestream oder kurz Stream bezeichnet.

Streaming Media, das über das WWW bzw. HTML angestoßen wurde, wird auch Webradio oder Web-TV genannt. Im Gegensatz zum Herunterladen („Download“) ist das Ziel beim Streaming nicht, eine Kopie der Medien beim Nutzer anzulegen, sondern die Medien direkt auszugeben, anschließend werden die Daten verworfen.