Tüv-Plakette für schrottreife Autos? Ein Prüfingenieur steht in Stuttgart vor Gericht. Foto: dpa

Ein Prüfingenieur aus dem Kreis Calw muss sich vor Gericht verantworten, weil er für schrottreife Autos die sogenannte Tüv-Plakette erteilt haben soll.

Stuttgart/Calw - Die Zahl lässt schwindeln. 39 000 teils schrottreife Fahrzeuge soll ein selbstständiger Prüfingenieur der Karlsruher Gesellschaft für technische Sicherheitsprüfungen (GTS) mit der HU-Plakette versehen haben. HU steht für Hauptuntersuchung, allgemein als Tüv bekannt. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Tübingen haben Jahre gedauert.

Was Staatsanwalt Ulf Gutfleisch am Dienstag vor dem Landgericht Stuttgart vorträgt, scheint nur ein Abklatsch zu sein. Gerade einmal 19 Fälle wirft der Ankläger dem 51-jährigen Ingenieur vor. Diese Fälle glaubt man dem Angeklagten nachweisen zu können. Damit hat sich die Anklage aber nicht erschöpft. Zwischen 2006 und 2014 soll der Familienvater 810 000 Euro an Umsatz- und Einkommenssteuer hinterzogen haben. Die Vorwürfe: Steuerhinterziehung, Falschbeurkundung im Amt und Urkundenfälschung.

Gericht stellt sich auf langen Prozess ein

Der Angeklagte aus der Nähe von Nagold, seit 2006 selbstständiger Prüfer bei der GTS, soll 18 HU-Plaketten vergeben haben, ohne die jeweiligen Fahrzeuge zu prüfen. „Nachträgliche Untersuchungen haben erhebliche Mängel an den Autos ergeben“, sagt Staatsanwalt Gutfleisch – darunter sechs Lkw und mehrere Autos aus dem Kreis Böblingen und aus Stuttgart. 2015 soll der Mann an einem Wagen eine Plakette des Tüv Süd angebracht haben. Auch in den Fahrzeugschein soll er das Zeichen des Tüv Süd gestempelt haben – deshalb Urkundenfälschung.

Die 20. Wirtschaftsstrafkammer hat sich auf einen langwierigen Prozess eingestellt. Denn in Vorgesprächen hat die Verteidigung klargemacht, dass ihr Mandant lediglich die Steuerhinterziehung einräume – aber nicht in der vorgeworfenen Höhe. Alles andere weise der 51-Jährige von sich. Lasse man die Falschbeurkundung im Amt und die Urkundenfälschung fallen, könne die Hauptverhandlung schnell über die Bühne gehen. Damit ist der Staatsanwalt indes nicht einverstanden. Er hält zwar eine Bewährungsstrafe für möglich, da der Angeklagte seine Steuerschuld bereits seit Jahren abzutragen versucht. Bewährung könne es aber nur geben, wenn der Ingenieur ein allumfassendes Geständnis ablege.

Anderer Prüfer zu vier Jahren verurteilt

Vorsitzender Richter Hans-Jürgen Wenzler skizziert, was auf die Beteiligten zukommen könnte – nämlich die Ladung aller 19 Autobesitzer als Zeugen. Dazu müssten Sachverständige gehört werden.

Anders als im früheren Fall eines GTS-Prüfingenieurs wird dem 51-Jährigen keine Bestechlichkeit vorgeworfen. Er soll explizit nicht die Hand für schnelle Prüfplaketten aufgehalten haben. Er habe nur am laufenden Band Fahrzeuge in seiner eigenen Prüfstelle durchgewinkt, um so viel Geld zu machen wie möglich.

Im Mai 2014 hatte das Landgericht Stuttgart einen GTS-Prüfingenieur zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Der Mann hatte laut Urteil mit den Betreibern mehrerer Werkstätten zusammengearbeitet. Er wurde in die Autowerkstätten bestellt, die Kunden fuhren vor und holten sich gegen Aufpreis ihre HU-Plakette ab. Der Prüfer habe um die 80 Euro pro Plakette bekommen. Die HU-Prüfung kostete jedoch nur 53 Euro.

Verdeckter Ermittler kam zum Einsatz

Das hört sich überschaubar an, aber: Bei über 8000 HU-Prüfungen im Jahr kommt ein ganz schönes Schmiergeldsümmchen zusammen. Als der Prüfer damals festgenommen wurde, stellte die Polizei 210 000 Euro in bar in seinem Auto sicher. Über die Jahre hatte er 600 000 Euro auf sein Konto einbezahlt.

Nachdem die Behörden den verurteilten Prüfer damals ins Visier genommen hatten, setzten sie einen verdeckten Ermittler ein. Dieser fuhr im März 2012 mit einem schrottreifen Wagen in eine Werkstatt im Kreis Ludwigsburg, wo die Schrottkiste von dem Prüfer nach fünf Minuten die HU-Plakette bekommen hatte. Der Angeklagte hatte bis zum Ende bestritten, mit den Werkstattbesitzern, die ebenfalls verurteilt wurden, gemeinsame Sache gemacht zu haben.

Der aktuelle Prozess wird am 11. Juli fortgesetzt. Terminiert ist er bis Ende September 2017.