Proteste in Tübingen gegen die Versuche mit Affen am Max-Planck-Institut Foto: dpa

Heimlich gedrehte Szenen von Affenversuchen in Tübingen haben die Debatte um das Für und Wider solcher Experimente angeheizt. Die Landestierschutzbeauftragte plädiert dafür, alle Vorwürfe gründlich zu prüfen. Ihr Ziel ist dennoch klar: das Ende dieser Versuche.

Heimlich gedrehte Szenen von Affenversuchen in Tübingen haben die Debatte um das Für und Wider solcher Experimente angeheizt. Die Landestierschutzbeauftragte plädiert dafür, alle Vorwürfe gründlich zu prüfen, aber Konsequenzen nicht zu überstürzen. Ihr Ziel ist dennoch klar: das Ende dieser Versuche.
 
Stuttgart - Frau Jäger, halten Sie die in „Stern TV“ gezeigten Experimente am Tübinger Max-Planck-Institut für Kybernetik (MPI) ethisch für vertretbar?
Die Aufnahmen haben mich in meiner Meinung bestärkt, dass wir dringend eine Neubewertung der Belastung der Tiere brauchen. Der Hintergrund ist folgender: Man muss sich das Genehmigungsverfahren wie eine Waage vorstellen. Auf der einen Seite steht der potenzielle wissenschaftliche Nutzen, auf der anderen Seite die Belastung der Tiere. Die Behörde hat die Aufgabe, eine Abwägung zu treffen, also die Waage anzugucken und zu prüfen, ob der mögliche Nutzen die Belastung rechtfertigt.
Wie gut gelingt das?
Die Belastungsseite kommt bei diesen Experimenten aus meiner Sicht bisher zu kurz. Das hat damit zu tun, dass die Antragsteller davon ausgehen, dass das Experiment glatt abläuft. Dass es aber auch Komplikationen geben kann, wird bisher nicht systematisch berücksichtigt. Deshalb möchte ich erreichen, dass die Belastungen in einem weiter gefassten Sinn berücksichtigt werden. Dazu gehören die gesamten Haltungsbedingungen, die Vorgeschichte der Tiere, die Frage von Erholungsphasen sowie alle Eingriffe und Behandlungen, selbst wenn sie nicht zum Experiment im engeren Sinne gehören.
An wen richtet sich Ihre Forderung?
Das Bundestierschutzrecht und vor allem das EU-Recht bieten Möglichkeiten. Es wäre deshalb extrem hilfreich, wenn die Bundesregierung die Rechtsvorgaben konkretisieren würde – etwa in Form einer Verwaltungsvorschrift. Man könnte es aber auch durchaus als Genehmigungsbehörde stärker so praktizieren – in diesem Fall betrifft das das Regierungspräsidium Tübingen.
Sie waren einst selbst mit der Genehmigung befasst. Welchen Spielraum haben die Prüfer?
Bei allen Abwägungsprozessen gibt es einen gewissen Spielraum. Das Problem ist aber, dass es in der jüngeren Rechtsprechung (Oberverwaltungsgericht Bremen, die Redaktion) die Festlegung gab, dass die wissenschaftliche Nutzenabschätzung im Wesentlichen von den Wissenschaftlern durchgeführt wird. Der Beurteilungsspielraum der Genehmigungsbehörde ist also durch die Rechtsprechung an dieser Stelle eingeschränkt. Meiner Meinung nach sollten die Behörden jedoch eine vollständige Abwägung treffen können. Deshalb brauchen wir eine Klarstellung durch die Bundesregierung.
Wie verläuft das Leben eines Versuchsaffen?
In der Grundlagenforschung des MPI gibt es zwei Typen von Experimenten. Im einen Fall werden die Tiere etwa acht Wochen lang gehalten und getestet. Das sind meist Javaner-Affen, die zuvor in der Pharmaforschung eingesetzt wurden. Man versucht auf diese Art und Weise Tiere zu sparen. Im Max-Planck-Institut werden sie eingesetzt, um neuartige Tracer, eine Art Kontrastmittel, zu testen, die man in der Medizin für die bildgebenden Verfahren einsetzt. Der letzte Schritt ist, dass die Tiere in tiefe Narkose gelegt und eingeschläfert werden. Der zweite Experimenttyp erstreckt sich über mehrere Jahre. Die Aufgaben sind sehr anspruchsvoll.
Inwiefern?
Die Affen bekommen beispielsweise einen grünen Punkt auf dem Bildschirm gezeigt, danach taucht ein roter Punkt auf. Die Tiere sollen dann mit einer Art Schalter signalisieren, ob sich die Punkte in einer bestimmten Anordnung befunden haben. Liegen sie richtig, bekommen sie einen Flüssigkeitstropfen. Für dieses Experimente müssen die Affen lange in sogenannten Primatenstühlen sitzen. Die Experimente sind außerdem mit sehr langen Trainingsphasen verbunden. Dazu kommt eine chronische Flüssigkeitsbeschränkung und möglicherweise Komplikationen an den Kopfimplantaten. Diese Belastungen halte ich für sehr hoch.
Worin besteht der wissenschaftliche Nutzen?
Das Max-Planck-Institut macht keinerlei Hehl daraus, dass es sich um Grundlagenforschung handelt. Mit Hilfe der Versuche werden moderne bildgebende Verfahren validiert, also überprüft und weiterentwickelt. Experimente dieser Art haben dazu beigetragen, dass wir heute mit Magnetresonanztomografien (MRT) wichtige Fragestellungen beantworten können.
Ohne Versuchsaffen keine MRT?
So weit würde ich nicht geben. Ich persönlich bin der Meinung, dass der Punkt erreicht ist, an dem man sagen muss: Affenversuche sind nicht mehr zeitgemäß; die neuen Methoden der Bildgebung müssen aus sich selbst heraus weiterentwickelt werden. Das gelingt vielleicht nicht sofort, aber wir müssen jetzt das Ende einläuten. Die Waage zwischen Nutzen und Belastung, also die ethische Abwägung, senkt sich nach meiner Meinung inzwischen zur anderen Seite. Die Frage richtet sich aber auch an die Gesellschaft: Wollen wir etwa um jeden Preis wissen, wie zum Beispiel Emotionen im Gehirn entstehen und verarbeitet werden? Man könnte auch sagen, wir beschränken uns. Irgendwann hat man ja auch entschieden, keine Tierversuche für die Erprobung von Waffen oder für die Entwicklung von Kosmetika einzusetzen.
Also Ausstieg aus den Affenversuchen. Sieht das Wissenschaftsministerium das auch so?
Das weiß ich nicht. Ich appelliere bewusst auch an das Wissenschaftsministerium, die Diskussion ernsthaft aufzugreifen.
Welche unmittelbaren Konsequenzen muss man aus den Vorgängen ziehen?
Das Regierungspräsidium prüft derzeit die Antworten des MPI. Das wird Zeit brauchen, man sollte hier – gerade im Sinne des Tierschutzes – nichts übers Knie brechen.
Die Diskussion wird sehr emotional geführt. Können Sie dazu beitragen, sie zu versachlichen?
Das ist mein großes Ziel.