Szene aus „Die Kunden werden unruhig“ Foto: Pfeiffer

Das Landestheater Tübingen wagt das Experiment: Im Foyer des Hauses ist eine weiße Box aufgebaut, darin wird das Stück „Die Kunden werden unruhig“ von Thomas Schrettle aufgeführt.

Tübingen - Nachts im Landestheater Tübingen (LTT): Der Vorhang ist gefallen, alle sind nach Hause gegangen. Doch im Foyer ist eine weiße Box aufgebaut, hell ausgeleuchtet. Darin sitzen vierzig Personen und starren sich selbst und sich gegenseitig an; vor der ersten Reihe hängt eine Spiegelwand.

Plötzlich steht irgendwo eine junge Frau auf und brüllt: „Die Vorstellung hat begonnen!“ Gleich darauf fügt sie leiser und mit französischem Akzent hinzu: „Für den Anfang nur so viel: Noch wird in Euro bezahlt.“

Was da in der neuen White Box im Foyer des LTT Uraufführungspremiere feiert, ist Theater extrem. Johannes Schrettles „Die Kunden werden unruhig“ erzählt die Geschichte eines nervösen Bankangestellten (Kai Meyer), der nach einem Banküberfall nicht mehr schlafen kann. Eine selbst ernannte Personaltrainerin (Margarita Wiesner) soll ihm helfen, seine posttraumatische Störung zu überwinden. Die Führungskraft (Britta Hübel), die mit dem Bankangestellten eine Affäre hat und mit allen Mitteln verhindern will, dass ihr Transaktionsbetrug ans Licht kommt, verwandelt die Handlung in einen sexgeladenen Krimi.

Während die Personaltrainerin ihrer Bankautomaten-Phobie Luft macht und die Führungskraft ein Blutbad zelebriert, bleiben die Schauspieler nicht in ihren Rollen: gelegentlich verhalten sie sich wie das Publikum und lachen mit, wenn sich Kai Meyer zum Internet-Hit „Supergeil“ selbst ohrfeigt oder bei der Beschreibung seiner eigenen Rolle aus dem Stottern nicht mehr herauskommt.

Der nervöse Bankangestellte redet sich bei einem Beratungsgespräch so in Rage, dass man nicht mehr weiß, ob er als oder über seine Figur redet. „Jetzt haben wir gemeinsam ein bisschen Zeit gewonnen!“, brüllt er, bricht dabei fast zusammen. Es wird enger und heißer in der Box. Ein Blick zur Tür; es gibt keine Klinke. Immer wieder geben die Schauspieler Regieanweisungen, beschreiben eine nichtexistente Bühne. „Wenn die Inszenierung es zulässt, hat sich die Bühne verwandelt“, sagt Britta Hübel gegen Ende des Stücks, es wird deutlich, dass das Publikum die Bühne ist, Gegenstand und Schauplatz des Stücks zugleich.

Man kann sich dem Geschehen nicht entziehen, wenn der Schauspieler einen von hinten an den Schultern packt, wenn er in den Spiegel und scheinbar direkt auf einen deutet. Das Stück spricht von der „zarten Geilheit, überwacht zu werden“, von allen anderen im Raum, aber auch von sich selbst.

„Wir wollen nicht so tun, als ob“, heißt es, und damit kann alles gemeint sein: Anlageberatung, Schauspielerei oder das Theater selbst. Schrettles Stück in der Inszenierung von Michael von zur Mühen bricht mit allem, was nur möglich ist: Form, Kontinuität und Identität. Es erreicht damit eine Selbstreferenz, die betroffen macht. Der Titel ist Programm, ob man will oder nicht: Immer mehr ertappt man sich dabei, wie man selbst auf dem Sitz hin und her rutscht. Unruhig eben.

Nächste Aufführungen am 20. 4., 4., 7., 21. und 29. 5.