Szene aus „Die Irre von Chaillot“ Foto: Pieth

An der Landesbühne Esslingen sind zwei neue Inszenierungen zu sehen: „Die Irre von Chaillot“ nach Jean Giraudoux“ und „Der goldene Drache“ von Roland Schimmelpfennig.

Esslingen - Die Bässe wummern, wie Peitschenhiebe kommen die Taktschläge, die Lichter zucken, und die Leute dort haben exotische bis verwegene Kleidungen und Frisuren. Ja, das ist der richtige Ort für verbotene, sittenwidrige Geschäfte, und entsprechend agieren da auch der Präsident, der Baron, der Makler und die Prospektorin. Jeder ist auf seine Weise verschlagen, gehässig, überheblich. Eine ganz andere Welt tut sich da auf, als Aurelie, die Irre von Chaillot, auftritt mit klarem Gesang, munterem Akkordeonspiel, kämpferisch in Lederhosen.

Anna Katharina Winkler hat „Die Irre von Chaillot“ von Jean Giraudoux für das Schauspielhaus der Esslinger Landesbühne inszeniert und den Text bearbeitet. Sie hat dabei viel gewagt und sich viele Freiheiten genommen. Dass das Stück im Zweiten Weltkrieg spielt, als die Deutschen Paris und einen Großteil von Frankreich besetzten, spielt hier eigentlich keine Rolle mehr. Was bleibt, ist die Suche nach Öl, und warum soll man dies auch nicht im Untergrund der französischen Landeshauptstadt tun? – Das passt ja auch ganz gut in die heutige Zeit, und so beherrschen auch immer wieder jene deutsch-englischen Begriffe aus der Aktionärswelt das Geschehen, die so ziemlich jeder schon gehört hat, deren genaue Bedeutung aber wohl so gut wie niemand kennt.

In ihrem kreativen Schaffensdrang verlangt Winkler auch viel von den Schauspielern ab, die Bühne ist am Ende ein einziges Schlachtfeld. Manches Mal stellt sich freilich schon die Frage, was dies noch mit Giraudoux zu tun hat, und auch bei den Schauspielern selbst blieben wohl einige Fragen offen. Zumindest am Premierenabend war die Regisseurin nicht anwesend. Dennoch bleiben starke Bilder in Erinnerung, etwa mit Renate Winkler in der Hauptrolle oder die vier Verbrechergestalten, die abschließend auch ganz zeitgemäß durch Maschinengewehre getötet werden. Das Verbindungsglied bleibt das Öl – damals wie heute.

Solche Aktualisierungsbedürfnisse hat Sewan Latchinian nicht in „Der goldene Drache“ von Roland Schimmelpfennig, ebenfalls für das Esslinger Schauspielhaus inszeniert. Eher musste er sich damit beschäftigen, wie man 15 Rollen auf fünf Schauspieler verteilt und wie man es theatralisch sinnfällig darstellen kann, wie der kariöse Zahn eines Kochs in der Currysuppe Nummer fünf landet und wie daraus noch ein runder Theaterabend wird.

Denn der Goldene Drache ist so eine typische kleine asiatische Wok-Küche, wie wir sie heute in allen Stadtteilen haben, meist familiär geführt und gerne unter dem Verdacht stehend, Illegale zu beschäftigen. Wie in vielen seiner früheren Stücken, die auch schon in Stuttgart zu sehen waren, skizziert Schimmelpfennig auch hier eine Art Menschenzoo. Menschen, die lediglich gemeinsam haben, dass sie zur gleichen Zeit am gleichen Ort leben, hier also in unmittelbarer Nähe des Goldenen Drachen. Latchinian kostet das genüsslich aus, hat sich auch für ein technisch aufwendiges Bühnenkonstrukt entschieden, das Distanzierung und Annäherung auch optisch gut nachvollziehbar darstellt. Was die Einzelnen konkret umtreibt, bleibt häufig leider im Dunkeln. Nur die Geschichte vom Zahn, die ist wirklich bis zur Ekelgrenze hin gut und rund erzählt.

Weitere Aufführungen „Die Irre von Chaillot“ am 7., 10., 15., 16. und 30. 5., „Der goldene Drache“ am 2., 6. und 24. 5. Karten unter 07 11 / 35 12 30 44