Eine Regierungsbefragung ohne die Anwesenheit von Regierungsmitgliedern „ist schlicht indiskutabel“, hält Norbert Lammert den Ressortchefs von Union und SPD vor Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Bundestagspräsident Norbert Lammert geht mit der Großen Koalition hart ins Gericht. Der CDU-Politiker mahnt eine gründliche Reform der Regierungsbefragung an. Auch das fehlende Fingerspitzengefühl beim Jobwechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft ist im ein Dorn im Auge.

Stuttgart - Herr Lammert, quer durch alle politischen Lager, aber auch von allen Beobachtern wurde die ernsthafte und tiefgründige Diskussion zum Thema Sterbehilfe gelobt. Warum erleben wir solche Debatten im Bundestag nicht öfter?
Weil glücklicherweise die große Mehrzahl der politisch entscheidungsbedürftigen Sachverhalte nicht die Bedeutung und deshalb auch nicht den Tiefgang hat, den wir bei dieser Debatte beobachtet haben. Fragen des Steuersystems, die Erhebung von Maut-Gebühren, die Modernisierung unserer Infrastruktur sind alles wichtige, aber natürlich nicht annähernd so existenzielle Fragen wie die, die den Anfang und das Ende des menschlichen Lebens betreffen. Dass sich das Parlament dabei erneut ganz offenkundig als das Forum der Nation bewährt, in dem die unterschiedlichen Wahrnehmungen und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen ebenso ernsthaft wie zurückhaltend vorgetragen werden, gehört ganz sicher zu den vorzeigbaren Seiten des deutschen Parlamentarismus.
Oft werden im Bundestag aber endlos lange Monologe gehalten – vielfach abgelesen . . .
Endlos natürlich nicht, aber es wird bei uns im Bundestag zu viel geredet und zu wenig debattiert – was ja nicht dasselbe ist. Dass im Bundestag Reden gehalten werden statt kurzer Debattenbeiträge, halte ich für den Kern des nicht nur von Ihnen so empfundenen Problems. Dazu trägt schon die räumliche Versuchsanordnung im Parlament erheblich bei: Denn der Weg vom Platz im Plenum zum Rednerpult führt gewissermaßen zur Mutation eines Parlamentariers zum Redner. Dann findet eben allzu häufig eine Aneinanderreihung vorbereiteter Reden statt anstatt des knappen, prägnanten Austausches von Argumenten in einer improvisierten Debatte.
Was kann man dagegen tun?
Es gibt kein Patentrezept. Insgesamt würde eine Akzentverlagerung von Rede- hin zu Debattenbeiträgen fast automatisch zu den kürzeren, prägnanteren Wortmeldungen führen. Auch unter diesem Gesichtspunkt war die Debatte über Sterbebegleitung sehr ermutigend. Da hatten wir uns alleine wegen der enorm großen Zahl von Wortmeldungen darauf verständigt, dass nur Fünf-Minuten-Beiträge möglich sind. Obwohl man das mit guten Argumenten bei einem so komplexen Thema für unzureichend halten könnte, hat es erkennbar gut funktioniert.
Also ein Vorbild für die Zukunft?
Regierungserklärungen zu komplexen Themen müssen schon die Zeit haben, um Zusammenhänge und sich daraus ergebende Schlussfolgerungen zu erläutern. Auch die Fraktionen, die sich damit auseinandersetzen sollen, müssen ihrerseits die Gelegenheit haben, das zu analysieren und zu kritisieren. Aber es muss dann eben nicht zwingend zu einer Wiederholung des ohnehin Gesagten in anderen Formulierungen durch weitere Redner führen. Da würde ich mir ein wenig mehr Souveränität in der Gestaltung von Parlamentsdebatten wünschen.
Diese Souveränität ist derzeit besonders gefordert, angesichts der sehr großen Koalition und der eher überschaubaren Opposition.
So ist es, auch wenn der Bundestag dem durch eine leichte Modifizierung der Redezeit zugunsten der kleinen Opposition durchaus Rechnung getragen hat. Dennoch bleibt dieser Effekt, dass vor allem bei den längeren Debatten spätestens im letzten Drittel dieser Debatte die Koalition mit sich selbst redet, was nach innen wie nach außen nur einen sehr begrenzten Gewinn erwarten lässt.
Ein mögliches Instrument, um Diskussionskultur zu beleben, ist die Befragung der Bundesregierung. Aber wie auch bei den Fragestunden glänzen die Minister häufig mit Abwesenheit und lassen stattdessen ihre Staatssekretäre vorbereitete Statements verlesen. Ist das Ganze dann noch sinnvoll?
Man muss zwischen der Regierungsbefragung und der Fragestunde unterscheiden: Was die Fragestunde, im Sinne der Abarbeitung von schriftlich eingereichten Fragen der Abgeordneten zur mündlichen Beantwortung angeht, habe ich Zweifel, ob es für dieses Format überhaupt noch einen wirklichen Bedarf gibt. Die Regierungsbefragung ist natürlich unverzichtbar, bedarf aber einer gründlichen Reform. Dass die Regierungsbefragung ohne Mitglieder der Bundesregierung stattfindet, wie in der Vergangenheit mehrfach passiert, ist schlicht indiskutabel. Deshalb habe ich vor einigen Wochen darauf hingewiesen, dass ich eine Regierungsbefragung gar nicht eröffnen würde, wenn die Bundesregierung nicht mit Mitgliedern vertreten ist.
Es gibt den Vorschlag – etwa nach kanadischem Vorbild – die Kanzlerin einmal monatlich zu einer Fragestunde einzuladen.
Sie wissen wie ich, dass die Begeisterung der Fraktionen für ein solches Format mit dem jeweiligen Rollenwechsel von der Opposition in die Regierung reflexhaft schwindet.
Wesentlich bessere Einschaltquoten als jede Bundestagsdebatte haben politische Satiresendungen. Wie viel Satire verträgt die Politik?
Die Politik verträgt mindestens so viel Satire wie andere relevante Bereiche unserer Gesellschaft, tendenziell vermutlich mehr – sowohl unter quantitativen als auch unter qualitativen Gesichtspunkten. Das ändert aber nichts an meiner mit dem Amt verbundenen Aufgabe, die Würde und die Ordnung des Hauses zu wahren. Dass dabei gelegentlich zwischen den Erwartungen der einen Seite und diesen Verpflichtungen auf der anderen Seite ein nicht für jeden sofort einleuchtender mittlerer Weg gefunden werden muss, gehört zu den gelegentlich ungemütlichen Aspekten meines Amtes.
War es ein Fehler, der ZDF-„heute-show“ ein zwischenzeitliches Drehverbot im Bundestag aufzuerlegen?
Wenn uns Anträge auf Akkreditierung gestellt werden, die erkennbar mit dem Reglement des Bundestages nicht übereinstimmen, kann es dafür keine Genehmigung geben. Wenn gleiche Antragsteller neue Anträge stellen, die diese Absicht zumindest nicht erkennen lassen, bekommen sie in der Zukunft wie in der Vergangenheit eine Drehgenehmigung.
Noch ein Thema, das das Parlament beschäftigt: Die Wechsel etwa von Roland Pofalla (CDU/Deutsche Bahn), Dirk Niebel (FDP/Rheinmetall), Daniel Bahr (FDP/Allianz) von der Regierungsbank in die Wirtschaft haben zu heftigen Debatten geführt. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, eine Regelung zum Jobwechsel von Politikern zu finden.
Dafür gibt es offensichtlich Bedarf. Meine Idealvorstellung wäre, dass es für so etwas förmliche Regeln gar nicht geben müsste. Weil es Dinge gibt, von denen man sich wünschen möchte, dass sie auch ohne gesetzliche Einschränkungen oder Verbote schlicht nicht gemacht werden.
Nach einem Jahr hat man sich nun immerhin auf eine einjährige Karenzzeit geeinigt. Es soll aber im jeweiligen Einzelfall entschieden werden, ob überhaupt eine Interessenkollision vorliegt. Ist das eine praktikable Lösung, wenn die (Ex-)Kollegen über die Karriere eines Mitstreiters entscheiden?
Wenn man – auch aufgrund von Erfahrungen – das nicht auf den gesunden Menschenverstand beziehungsweise auf das Fingerspitzengefühl von Betroffenen ankommen lassen, sondern doch förmlich regeln will, macht man wie bei fast jedem Gesetzesvorgang die ernüchternde Erfahrung, dass solche Regelungen immer angenommene Standardfälle regeln. In der Wirklichkeit kommt aber immer alles vor, nur nicht der Standardfall. Deshalb ist es gut, dass man sich jetzt auf eine Regelung verständigt hat, die einen Zeitraum vorgibt, der mindestens abgewartet werden soll, bevor eine andere Tätigkeit wahrgenommen werden darf. Dies könnte man auch in einem Verhaltenskodex festlegen, der nicht unbedingt der Gesetzeskraft bedarf. Aber ich sehe die teutonische Erwartung, dass ein Thema in Deutschland grundsätzlich als nicht geregelt gilt, bevor es nicht in Gesetzesform gegossen ist.