Helmut Lachenmann Foto: Lebrecht Music and Arts

Helmut Lachenmann hat als Komponist und als Kompositionsprofessor eine neue Art des Denkens und des Schreibens von Neuer Musik entwickelt. Am 11. Mai wird er deshalb von der Gesellschaft für musikalische Aufführungsrechte in Berlin geehrt.

Stuttgart - Klänge? Geräusche? Oper? Konzert? Wer herausfinden möchte, was Helmut Lachenmann Besonderes geleistet hat, der wird besonders schnell bei der „Musik mit Bildern“ fündig, die 1997 zur Uraufführung gelangte: einem hybriden Werk, das die Kälte des Erzählten in leise Klänge aufsplittert und das mit seinem Rauschen, Kratzen, Atmen und Schaben bis heute radikal wirkt. „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ heißt das Stück, das die bürgerliche Gattung Oper gleichzeitig bedient und unterhöhlt – auch als intellektuelles Nachbeben der 68er Jahre, die Lachenmanns Denken und Komponieren stets zutiefst geprägt haben.

Von der Last der Vätergeneration(en) sollen nicht nur die Klänge befreit werden, sondern auch die Menschen. Notfalls sogar mit Gewalt. Vom „zerstörerischen Umgang mit dem, was man liebt, um dessen Wahrheit zu bewahren“, hat der Komponist selbst einmal gesprochen, und tatsächlich spürt man in Lachenmanns Werken selbst hinter harten, aggressiven Attacken immer wieder die Liebe zur klingenden Materie.

Dabei hat der Mann, der in diesem November 80 wird, nie dem Hässlichen das Wort geredet oder das Geräusch als allein selig machend verteidigt. Eher geht es ihm um einen dialektischen Ansatz, der Schönes und Hässliches, Strukturiertes und Unstrukturiertes, Klänge und Geräusche zusammen denkt. Und Wahrhaftigkeit, die er „Klangrealistik“ nennt, fordert Lachenmann unerbittlich ein.

Dabei antwortet seine Musik nie. Sie fragt – zuallererst immer wieder danach, was Schönheit ist oder was sie sein sollte. Das hört man etwa in dem Stück „Accanto“, das der Komponist „für einen Klarinettisten mit Orchester“ geschrieben hat. Zwischen immer wieder gestörten Geräuschen unter anderem von Klarinetten-Klappen und federnden Geigenbögen gibt es Fetzen von Mozarts berühmtem Klarinettenkonzert. Das Schöne bleibt ein Sehnsuchtsort, es will und darf und soll nicht bleiben und muss außerdem von jedem Einzelnen ständig neu gefunden und definiert werden.

Es ist immer ein Stück weit irritierend, wenn ein Revolutionär einen Preis bekommt. Bei Helmut Lachenmann indes muss man nicht befürchten, dass seine Musik wirklich zur Salonfähigkeit verkommen ist. Im Gegenteil: Gerade im Vergleich mit jüngeren zeitgenössischen Stücken wirken Lachenmanns Werke oft auf erfreulich erschreckende Weise kantig und widerborstig.

Für seinen stillen, aber anhaltenden und durchaus Schule machenden Widerstand gegen alles Eintönige, Eingeschliffene und Kommerzialisierte, der mit einer (auch politisch zu verstehenden) Sensibilisierung für all das einhergeht, was anders ist, ungewohnt, irritierend: Dafür wird Helmut Lachenmann am 11. Mai in Berlin mit dem Deutschen Musikautorenpreis 2015 ausgezeichnet, den die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (Gema) jährlich verleiht. Typisch und bezeichnend ist die Antwort des Geehrten: „Ich freue mich“, sagt Helmut Lachenmann“, „über diesen Preis, weil er in meiner Person und in meinem Schaffen den Gedanken ehrt, den ich nicht gepachtet habe, aber der mich von Anfang an mit aller Konsequenz geleitet hat: die Bereitschaft und die Lust, als Komponist ins Unbekannte, Ungewohnte, auch Unberührte vorzustoßen, so wie das die Komponisten der letzten Jahrhunderte, deren Werke uns heute begeistern, ohne Rücksicht auf schnellen Erfolg auf ihre Weise immer wieder riskiert haben . . . Ich bin glücklich, dass eine wichtige, dabei so prosaische Einrichtung wie die Gema über die Sparten hinweg fähig und bereit ist, diesem Gedanken des ästhetischen Abenteuers Respekt zu verschaffen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.