Gemeinsam lernen, gemeinsam ringen – Spätaussiedler betreuen bei den Ringern Flüchtlinge und haben oft ähnliche Erfahrungen wie diese gemacht. Foto: Sascha Maier

Bei der Ringerabteilung des KV Stuttgart neigt sich ein Integrationsprojekt dem Ende zu. Die Fördergelder aus öffentlicher Hand sind fast aufgebraucht – dabei besteht seit dem Flüchtlingszustrom mehr Bedarf denn je.

Vaihingen - Für Adolf Rager war es schon eine Selbstverständlichkeit, da waren öffentliche Debatten zum Thema noch gar nicht wirklich entfacht. Die Rede ist von Integration. In den Nullerjahren gewann der Begriff überhaupt erst an Popularität, da sah der 85-jährige Ehrenvorsitzende des KV Stuttgart 1895 bereits die Notwendigkeit, den damaligen Spätaussiedler aus der ehemaligigen UdSSR zu helfen, sich in Deutschland zurechtzufinden. Schwäbelnde Männer aus Kasachstan, die heute in der Sporthalle des Hegel-Gymnasiums trainieren, dürften beweisen, dass irgendetwas ganz gut funktioniert hat. Dass Rager für seine Integrationsarbeit das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, sowieso. „Die Jungs sind plötzlich dagewesen“, sagt Rager.

Einer von ihnen ist Roman Koroklov. Heute ist er Finanzexperte, spricht fließend Deutsch – wenn auch ein ganz leichtem Akzent verrät, dass er in Kasachstan aufgewachsen ist. Als er 17 war, erzählt er, kam er sich in Deutschland so fremd vor wie ein Eisbär in der Wüste. Dass er so gut integriert wurde, dafür macht der heute 33 Jahre alte Mann den KV Stuttgart und insbesonders dessen Ehrenvorsitzenden verantwortlich. „Der Verein ist meine Familie geworden“, sagt er.

Jugendliche mit Migrationshintergrund unterstützen

Was er damals erlebte, möchte er heute an andere Neuankömmlinge weitergeben. Er engagiert sich im Rahmen des Integrationsprojekts „Selbstbewusst und willenstark“, das vom Jugendamt unterstützt wird und vor drei Jahren ins Leben gerufen wurde. Im Grunde ist das Projekt eine Fortsetzung von Ragers Philosophie mit den Spätaussiedlern, nur im größeren Stil.

Der Verein unterstützt seine jungen Mitglieder mit Migrationshintergrund bei den Hausaufgaben, hilft ihnen, Deutsch zu lernen und bringt ihnen nützliches Alltagswissen bei, um sich hier zurechtzufinden. Heute, anders als zu Ragers aktiven Vorstandszeit, übernehmen das sowohl Ehrenamtliche wie Koroklov als auch Fachkräfte wie etwa Lehrer.

Für letztere, Stand heute, wird es Ende des Jahres vermutlich vorbei sein. Denn dann sind die Fördermittel des Jugendamts größtenteils aufgebraucht. Und bisherige Versuche, neue öffentliche oder private Fördermittel zu akquirieren, waren nicht von Erfolg gekrönt. Dabei ist der Bedarf heute größer denn je: Auch etwa 15 Flüchtlingskinder trainieren beim KV Stuttgart und profitieren von dem Integrationsprojekt.

Sport, Bildung und Soziales unter einem Dach

Roman Koroklov kann sich gut in deren Lage hineinversetzen. Damals, als er nach Deutschland kam, muss er ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Und weil er selbst beispielhaft zeigt, wie Intergation funktioniert, glaubt er auch an den Integrationsgedanken. „Ich freue mich richtig, mich hier engagieren zu können“, sagt Koroklov.

Ihm habe vor allem geholfen, dass Sport, Bildung und soziales Leben mit dem KV Stuttgart an ein und dem selben Schauplatz stattgefunden haben. „Deutsch lernen, Sport treiben, die Schule besuchen – das ist sehr zeitaufwendig“, sagt er.

Reza Sorkhhesari ist aus dem Schulalter raus. Aber der 42-jährige Syrer lebt noch nicht lange in Deutschland, flüchtete vor dem Bürgerkrieg in seinem Land. Da sein Asylverfahren noch läuft, ist der kräftige Kerl mit 30 Jahren Erfahrung im Ringen froh, die Jugendgruppen gegen ein kleines Entgeld trainieren zu können. Wie vielen Flüchtlingen mit ungeklärtem Status ist ihm vor allem langweilig, da er keine Arbeitserlaubnis hat.

Auf der Matte sind alle gleich

Das spielt auf der Matte alles keine Rolle. Die Jugendgruppe baut den Ring auf, auch Bundesverdienstkreuzträger Adolf Rager packt mit an. „Etwas besonderes beim Ringen ist der Körperkontakt“, sagt er „,in keiner anderen Sportart ist der so intensiv wie beim Ringen.“ Das baue Barrieren ab – und sei ein weiterer Grund, warum der Sport so ein großes Potenzial habe, Integrationsarbeit zu leisten.

Die jungen Ringer machen sich bereit, legen Griffe an. Und wahrlich, es hat etwas von Kuscheln. Auch ein paar Mädchen trainieren mit. Darunter: Auch die kleine Tochter des Flüchlings Reza Sorkhhesari. „Eigentlich haben wir nur eine Abteilung für Männer“, sagt Rager. Aber man müsse ja auch mit der Zeit gehen: „Der DFB würde in Sachen Mitgliederzahlen ohne die Frauen schrumpfen. Das müssen auch wir im Auge haben.“