Schönes Fundstück: Die Broschüre aus dem Jahr 1935 Foto: Annina Baur

24-stündige Badekuren und adelige Gäste aus aller Welt: „Bad Cannstatt vor hundert Jahren“ lautet der Titel eines kleinen Heftleins. Es schildert die Geschichte Bad Cannstatts als Kur- und Badestadt.

Bad Cannstatt - Gisela Langohr geht gern ins Mineralbad. Obwohl sie inzwischen nicht mehr selbst in Bad Cannstatt lebt, trifft sie sich regelmäßig mit Freundinnen zum Bad im sprudelnden Nass. Vielleicht auch deshalb ist ihr beim Aufräumen auf dem Dachboden ihres Elternhauses ein kleines, vergilbtes und zerfleddertes Heftchen aufgefallen. „Bad Cannstatt vor hundert Jahren“ heißt der 1935 erschienene Sonderabdruck aus dem Schwäbischen Merkur, und er zeichnet die glanzvolle Geschichte Cannstatts als Kur- und Badeort nach.

„Selbst die Römer haben, wie nachgewiesen ist, vor 2000 Jahren in Cannstatt schon ,mineralgebadet‘“, schreibt der Autor, der als Oberregierungsrat a.D. Gerhardt auf dem Titelblatt genannt ist. Von einem Bade- oder gar Kurbetrieb könne aber auch im Mittelalter noch keine Rede sein; gepflegt wurden wohl eher eigenartige Badekuren – denn über die Heilkraft des Cannstatter Sauerwassers war man sich schon damals einig. Gegen Flechte, verschleimten Magen, Verstopfung und sogar Schwermütigkeit ist ein Wasser gesprudelt – das „Sulz-Wasser“. Bade- und Trinkkuren wurden im 17. Jahrhundert gegen allerlei Gebrechen empfohlen, und diese hatten es in sich: 24 Stunden lang pflegte man sich ins Bad zu legen, und versprach sich „eine besonders gute Wirkung am Johannis-Feiertag, wo man tags zuvor das Bad bestieg, um es erst in der folgenden Nacht wieder zu verlassen.“ Nachdem diese Rosskuren 1602 verboten wurden, habe es auffallend lang gedauert, „bis in Cannstatt sich jemand fand und aufraffte, den von der Natur in so reichem Maße dargebotenen Schatz an Heilquellen regelrecht auszuwerten“.

Adlige geben sich die Klinke in die Hand

Zwar habe es in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts bereits ein „Badhaus“ mit acht „artige(n) und bequeme(n) Stüblen zum Logiren“ gegeben, doch erst Johann Jakob Frösner und sein gleichnamiger Sohn habe die Grundlagen für das spätere Bad Cannstatt geschaffen (den Titel Bad bekam die Stadt erste 1933). Er ließ nicht nur die damalige Hauptquelle rechts des Neckars fassen, sondern gestaltete auch das Gelände rund um seine beiden Quellen zu einem parkartigen Garten um und errichtete moderne Gebäude und schuf so eine Bade- und Kuranstalt. Im „Frösnerschen Badgarten“ (aus der später das Hotel Hermann hervorgehen wird) habe sich von 1790 an jahrzehntelang das Cannstatter Kur- und Badleben“ zu einem wesentlichen Teil abgespielt. Heute erinnert noch der Name Badstraße an das Badeleben, das sich dort einst abspielte, und vor allem unter Frösner junior aufblühte.

Schweizer, Engländer, Franzosen, Russen und sogar die Mitglieder des württembergischen Königshauses gaben sich Anfang des 19. Jahrhunderts die Klinke des Badgartens in die Hand. Die Stadt war sogar so beliebt, dass die Hotelzimmer nicht ausreichten, und Privatwohnungen hinzugezogen werden mussten, um all die Kurgäste aus aller Welt unterzubringen. Bis zu 2000 sollen es jährlich gewesen sein. Kein Wunder, dass Frösner Konkurrenz bekam: 1815 wurde der Gasthof „Ochsen“ in der Nähe der heutigen Wilhelma erweitert. Im Norden der Stadt entstand wenig später das Wilhelmsbad. 1829 wurde schließlich noch das orthopädische Institut von Dr. Heine und 1837 die Dr. Veielsche Heilanstalt für Flechtenkranke eröffnet. Aus dem Frösnerschen Bad wurde nach dem Tod des Namensgebers und dessen Frau das Hotel Hermann, ein „Gasthof ersten Rangs“, in dessen 140 Fremdenzimmern gekrönte Häupter, Grafen, Diplomaten und die vornehme Stuttgarter Gesellschaft abstiegen.

Hochbetrieb dauert nur wenige Jahre

Der Hochbetrieb dauerte aber nur wenige Jahrzehnte. Als erstes verlor der Ochsen an Bedeutung, das Wilhelmsbad ging 1875 ein. Das Hotel Hermann verkümmerte mehr und mehr, nachdem sich die Besitzer 1871 zur Ruhe setzten und musste schließlich, nachdem es „zu einer Bierwirtschaft herabgesunken war“, im Jahr 1882 in Konkurs gehen. An seiner Stelle steht heute das Krankenhaus vom Roten Kreuz. „Der Badstraße selber aber, die einstens in jedem Sommer Tausende von Kurgästen von nah und fern durchwanderten, sieht man heut ihre rühmliche Vergangenheit kaum noch an“, schreibt der Autor des Heftleins, das einen Einblick in die Bäderwelt vor fast 200 Jahren gewährt.