Diese Kunststoffbrösel sind für einen Reitplatz bestimmt. Foto: Ott

Versteckt hinter Strohballen lagert ein Anwohner auf einem Acker einen Berg von Kunststoffgranulat. Mittlerweile wächst Gras drüber. Der eine oder andere ist sauer. Aber alles geht mit rechten Dingen zu.

Möhringen - Der Blick gen Norden ist ein schöner von so hoch droben. Gleich hinter dem Schnitt, in dem sich Kaltental an die Hänge schmiegt, ragt der Monte Scherbelino empor. Linker Hand schweift das Auge über ein sattgrünes Band aus Wald, rechter Hand sackt es in den Stuttgarter Talkessel. Nur schnurstracks geradeaus liegt ein schwarzgrauer Schuttberg mitten auf dem Acker, unten an der Körsch, an der Lohäckerstraße zwischen Fasanenhof und Möhringen. Die Bewohner des Fasan 1, des 22-stöckigen Hochhauses am Solferinoweg, kennen es nicht anders, zumindest nicht seit ein paar Jahren. Auf dem Berg wächst schon das Gras.

Firma Seidenspinner hat damit nichts zu tun

„Das sieht aus wie ein Fabriklager“, sagt Gisela Weller und gießt dem Gast noch etwas Kaffee in die Tasse. „Das gehört meiner Ansicht nach da nicht hin.“ Mit dieser Meinung steht sie in dem Hochhaus beileibe nicht alleine da. Immer wieder gab es Beschwerden, nicht nur von ihr, auch von anderen, aber dazu später mehr. Der Seidenspinner, heißt es, breite sich aus.

Der Berg gehört ihm nicht, sagt Hans-Jörg Seidenspinner, und der Acker genauso wenig. „Viele denken, das ist meins“, sagt der Geschäftsführer des namensgleichen Garten- und Landschaftsbauunternehmens, dessen Betriebshof nur wenige Schritte entfernt liegt. „Aber mit mir hat das nichts zu tun.“ Gleichwohl weiß er, was da vor seiner Tür lagert, schließlich hat er es selbst dort hingekarrt. Nachbarschaftshilfe, sozusagen, wo er schon das schwere Gerät besitzt. „Das war mal ein Kunstrasenplatz, der abgebaut wurde.“

Granulat ist völlig ungefährlich

Und tatsächlich handelt es sich bei den Krümeln nicht etwa um Teerbrocken, die aus einer Straße gerissen wurden, sondern um weiche Kunststoffbrösel. Die sehen so schwarz zwar ungewohnt aus. Wären sie rot, würde sie aber sofort jeder mit einer Tartanbahn in einem Leichtathletikstadion in Verbindung bringen. Teils sind die Brocken so groß wie Handteller, teils wie eine Münze. Dazwischen liegen graue Steine, gewöhnlicher Schotter eben, aber eben auch gänzlich ungefährlich. So wie die Strohballen, hinter dem das Granulat lagert, um es vor den neugierigen Blicken der Autofahrer zu schützen. Zwei Meter hoch ist der Haufen, auf einer Länge von gut und gerne 50 Metern. Wenn man auf ihm herumkraxelt, federt er unten den Füßen, ganz sachte.

Auf der anderen Straßenseite lehnt jemand an einem Holzzaun und grummelt. „Sind Sie vom Amt?“, fragt er. Nein, von der Zeitung. Wie sich herausstellt, ist der Mann in den Gummistiefeln der Besitzer des Haufens. Auch der Acker gehört ihm. Er ist Landwirt, und die Leute aus dem Fasan 1 würden ständig Unruhe machen. Dabei brauche er keine Genehmigung, und erst kürzlich war sogar jemand von einer Behörde da, der das kontrolliert hat. 400 Kubikmeter gehen in Ordnung, und zwar höchstoffiziell.

Inzwischen schnaubt er. Denn irgendwie ist auch die Stadt an dem Händel schuld. Seit Jahren warte er darauf, dass endlich ein Flächentauschgeschäft abgeschlossen wird. Ehe das nicht geschehen ist, könne er keinen Reitplatz bauen. Das Granulat ist dafür gedacht, dass die Einhufer dereinst schön weich galoppieren können. Seinen Namen will er übrigens keinesfalls in der Zeitung lesen. Das und einige Verwünschungen sind die letzten Dinge, die er sagt, ehe er durchs hohe Gras davonstapft.

Lohäckerstraße – eine unendliche Geschichte

Der Ausbau der Lohäcker-straße ist so eine Sache. Seit etlichen Jahren ist im Gespräch, dass der ehemalige Feldweg, über den im Grunde nur eine Schicht Asphalt gestrichen wurde, endlich gerichtet wird. So ein Feldweg gibt eben nach, und die unzähligen Dellen auf der Fahrbahn zeugen davon. Wo man schon mal dran ist, könnte man die Straße auch gleich verbreitern, immerhin krachen die Busse der Linie 72 immer wieder mal mit ihren Rückspiegeln aneinander. 2009 gab der Gemeinderat also grünes Licht für den Ausbau. Auch fünf Jahre später hat sich noch nichts getan.

Zum einen, weil die Stadt erst Grundstücke kaufen oder tauschen müsste. Zum anderen, weil dann auch noch Geld für den Bau bewilligt werden müsste. Weder das eine noch das andere ist bislang geschehen.

„Es sind mehrere Dutzend Grundstückchen, die wir erwerben müssten“, sagt ein Mitarbeiter des Tiefbauamts, der ob der kniffligen Materie und der vielen, teils schon angesäuerten Beteiligten ebenfalls lieber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Das ist ein riesiger Aufwand“, sagt er. Der Bau selbst war als Wunschvorhaben für die Jahre 2014 und 2015 in den Doppelhaushalt eingestellt worden, fiel dann aber doch in den Haushaltsberatungen Ende 2013 wieder hinten runter. Die Stadträte wollten andere Prioritäten setzen. Nächstes Mal „versuchen wir das aber wieder“, sagt er. Das wäre dann 2016 oder 2017.

So schnell wird sich also nichts tun. Und deshalb dürfte über den Granulatberg auch weiter das Gras wachsen. Neulich jedenfalls war Jürgen Lohmann zu Gast im Fasan 1. Als Bezirksvorsteher von Möhringen gehört es auch zu seinen Aufgaben, Jubilaren die Hand zu schütteln. Ein Anwohner habe ihn auf den Fleck auf dem Acker, da drüben im Norden, aufmerksam gemacht. „Ich habe das Amt für öffentliche Ordnung eingeschaltet“, sagt er. Kurz darauf bekam er die Antwort: Die Kunststoffkrümel sind unbedenklich und dürfen dort gelagert werden. „Damit hat sich das für mich erledigt.“