Kopfüber Radfahren: Kein Problem für David Schnabel Foto: dpa

Die besten Kunstradfahrer treffen sich am Samstag zur Champions Trophy in der Porsche-Arena .

Stuttgart - Bevor die deutschen Sportjournalisten alljährlich im Herbst die „Sportler des Jahres“ wählen, erhalten sie Post aus Holzgerlingen. Die veranstaltende Agentur verschickt an die Kollegen eine Vorschlagsliste, auf der die Sportler stehen, die Herausragendes geleistet haben. Zwischen Dirk Nowitzki und Sebastian Vettel findet sich dann auch stets der Name David Schnabel. Im Gegensatz zum NBA-Champion von den Dallas Mavericks und dem Formel-1-Weltmeister wird der Mann aus Kempten allerdings nicht viele Stimmen erhalten. Dabei liefert auch er Höchstleistungen am Fließband ab. David Schnabel ist sechsmaliger Weltmeister – im Kunstradfahren.

Vor einem Jahr, im November 2011, erlebte Schnabel einen der Höhepunkte seiner Karriere. 6000 Zuschauer jubelten ihm in Stuttgart zu, als er den WM-Titel erneut verteidigte. An diesem Samstag (15.30 Uhr) kehrt er in die Porsche-Arena zurück. Zur Champions-Trophy, einem Einladungswettbewerb für die besten Kunstradler und Radballer der Welt. „Die WM 2010 war ein einzigartiges Erlebnis“, sagt Schnabel, „ich freue mich riesig, hier noch einmal fahren zu dürfen.“

„Bei ihm sieht es nie nach Arbeit aus“

Das ist eine Seite der Medaille. Die glänzende. Es gibt aber auch die Kehrseite. Nachdem die Porsche-Arena an allen drei Tagen ausverkauft war, hofften die Hallenradsportler, was sie immer nach einer erfolgreichen WM hoffen – dass sie mehr Sponsoren finden, die TV-Sender plötzlich Schlange stehen und ihnen Zuschauer die Bude einrennen. Was passiert ist? Nichts. „Alles läuft recht schleppend“, sagt David Schnabel.

Für einen wie ihn ist dieser vergebliche Kampf um Anerkennung besonders bitter. In vielen anderen Sportarten kann der Weltbeste zumindest ordentlich leben von seinen Erfolgen. Schnabel sagt: „Ich mache kein Minus, die Sporthilfe deckt die Kosten. Aber es wäre ein schöner Nebeneffekt, wenn ein bisschen was hängen bleiben würde.“ Seit kurzem hat der 27-Jährige einen eigenen Manager. Armin Hupp, seinen ehemaligen Nachbarn in Niedernberg, der Moderatoren wie Werner Schulze-Erdel oder Peter Illmann unter Vertrag hat. „Ziel ist, den Kunstradsport ins Rampenlicht zu bringen“, sagt Schnabel, „und natürlich auch mich.“

Verdient hätte er es. Schnabel ist Dauerweltmeister und Weltrekordhalter, er hüpft vom Sattel auf den Lenker, dreht Pirouetten, zeigt Handstände auf dem Rad und nie Nerven. „Er ist ein absoluter Ausnahmekönner“, erklärt Dieter Maute, „er fährt unglaublich sauber und elegant. Bei ihm sieht es nie nach Arbeit aus.“

Unsterblich machen mit einer Übung

Maute kann es beurteilen. Er ist der Bundestrainer. Nur die Frage, ob Schnabel der beste Kunstradfahrer aller Zeiten sei, will er nicht beantworten: „Jede Zeit hat ihre Helden.“ Maute war selbst einer. Fünf WM-Titel hat er geholt und eine eigene Übung entwickelt – den Maute-Sprung vom Sattel auf den Lenker. Die nächste Ära gehörte Martin Rominger, auch er kommt aus Albstadt. Sieben Jahre in Folge gewann er WM-Gold, so oft wie kein anderer. Und auch er erfand ein Element, den Abgang per Salto vom Lenker in den Stand. „Konstanz über eine längere Zeit ist das eine“, sagt Bundestrainer Maute, „der Einfluss auf die Sportart das andere.“

Schnabel hat verstanden. Schon länger arbeitet er daran, eine eigene Übung zu entwickeln. Ideen hat er, zum Beispiel probt er den Sprung vom Sattel-Stand in den Sattel-Lenker-Stand. Diesen umzusetzen, ist ihm sogar wichtiger, als den Rekord von Rominger einzustellen, was ihm bei der WM 2012 in Aschaffenburg gelingen könnte. „Ich fahre nicht, um Bestmarken aufzustellen. Schon von sechs WM-Titeln habe ich nie zu träumen gewagt“, sagt Schnabel, „aber eine neue Übung zu kreieren, die meinen Namen trägt, das ist schon ein großer Anreiz. Nur so macht man sich in seiner Sportart unsterblich.“

Da hat einer Ansprüche an sich selbst, die nur schwer zu erfüllen sind, zumal unter diesen Voraussetzungen. Schnabel, der gelernte Speditionskaufmann, macht derzeit eine dreijährige Umschulung zum Ergotherapeuten. Dafür ist er nach Kempten umgezogen, weit weg von seinem Trainer Christian König, der in Aschaffenburg geblieben ist. Seither übt Schnabel meist allein. Für ihn selbst ist das allerdings kein großes Problem, der ehemalige Ringer und Tischtennisspieler sitzt ohnehin weniger oft auf dem Rad als seine Konkurrenten. Und Joggen, Mountainbiken oder ins Krafttraining kann er auch alleine gehen. „Für mich ist Abwechslung mental wichtig, dann kann ich mich wieder aufs Kunstrad freuen“, sagt Schnabel, der auch von seiner enormen Konzentrationsfähigkeit lebt: „Nur im Wettkampf kann ich meine volle Leistung bringen.“

Darunter leidet vor allem einer: Florian Blab (RVI Ailingen), der schon fünfmal WM-Zweiter war – immer hinter Schnabel. Er hätte sicher nichts dagegen, wenn auch dem Champion mal ein Patzer unterlaufen würde. Groß kann seine Hoffnung allerdings nicht sein. „David Schnabel setzt immer dann einen drauf, wenn er einen drauf setzen muss“, sagt Vorgänger Martin Rominger, „er ist der Top-Mann im Kunstradfahren.“

Für WM-Gold im halben Dutzend reicht das. Allerdings für nicht viel mehr. Dass David Schnabel bei einer Wahl der Sportler des Jahres nie eine Rolle spielen wird, kann er leicht verschmerzen. Ihm würde ein bisschen mehr Anerkennung für sich und seinen Sport schon genügen.