Joan Miró/Tristan Tzara, Parler seul, 1948/50 Foto: Daniel von Lucius © Successió Miró/VG Bild-Kunst

Seit diesem Wochenende präsentiert das Kunstmuseum Stuttgart in seinen Sammlungsräumen im Erdgeschoss die Ausstellung „Künstlerbücher“. Die Schau präsentiert die Bestände der Sammlung des Stuttgarter Ehepaares Wulf D. und Akka von Lucius.

Stuttgart – Herr Friese, das Künstlerbuch ist eine Rarität geworden. Warum eigentlich?
Versuchen wir es einmal ohne Kulturkritik. An mangelnder Bildung liegt es nicht. Vielleicht daran, dass Druckgrafik seitenverkehrtes Denken voraussetzt. Und daran, dass das Digitale solche Komplexitäten nicht mehr kennt. Aber noch viel mehr gilt: Für die reiche Produktion an Künstlerbüchern waren immer auch Verleger notwendig, die mit Rat und Tat, Idee und Geld dabei waren, um die Projekte zu realisieren. Insofern hilft hier wie so oft: an die eigene Nase fassen.
Gleichwohl scheinen Sie ihre Begeisterung für diese Form der künstlerischen Äußerung nie ganz verloren zu haben. Was fasziniert Sie?
Als ich 1985 in die Manus-Presse gekommen bin, habe ich an die strikte Trennung der Sphären geglaubt. Dass also alle Künste ihre eigene nicht vermischbare Ausdrucksform kennen und behalten müssen. Das Künstlerbuch, das in der Manus-Presse so hochgehalten wurde, hat mich aufs Schönste belehrt, wie fruchtbar die Mischungen sind: die also von Literatur und Bild, von Musik und Tanz, von so viel mehr.
Ich erinnere mich an ein Projekt mit Antonio und Carlos Saura. Ist es auch das, dass Künstlerinnen/Künstler und Produzenten/Verleger/Galerien über solche Vorhaben noch einmal ganz anders zusammenarbeiten?
Ich erinnere mich an den Moment, als das Buch aus der Druckerei aus Paris in die Stuttgarter Edition kam. Wie wir es ausgepackt haben, wie wir darauf geschaut haben, wie wir gewusst haben: Ja, das ist es. Ein so besonderer Moment, kaum wiederholbar, aber so eindringlich. 50 000 Euro hat es gekostet, das Buch herzustellen, aber alle waren sich einig: Der Konzentration des Verlegers entsprach die Konzentration des Künstlers – besser geht es nicht.
Sie haben auf vielen Ebenen das Künstlerbuch forciert – als Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Galerien ebenso wie als Mit-Initiator der Messe Cologne Fine Art. Nur Begeisterung haben Sie mit Ihrem Engagement auch in der Kunstszene nicht geweckt. Trügt der Eindruck?
„Macht nichts“, hat der Düsseldorfer Maler Dieter Krieg auf solche berechtigten Fragen gesagt und daraus eine 100 Arbeiten umfassende Serie gemacht, die seine Sicht auf die Kunst und seine unheiligen Helden Sartre, Flaubert und Heidegger war und die er „ohne macht über das nichts“ nannte. Vor mehr als 20 Jahren hat Gerhard Storck im Krefelder Museum eine Ausstellung mit dem Titel „Artist Proof“ gemacht. Die These war, dass die wesentlichen Erfindungen in der zeitgenössischen Kunst im Bereich der Druckgrafik gemacht wurden. Dass es zwar das Moll der Grafik gäbe, dass es nämlich nicht zum Unikat gereicht habe, aber dass gerade dieser unbeobachtete Flecken der Kunstproduktion die Ruhe gegeben habe, die Kunst zu erneuern. Daran glaube ich, daran halte ich fest.
Welche Rolle spielen dann solche Ausstellungen wie diese nun im Kunstmuseum Stuttgart? Ist es eher Erinnerungsarbeit, oder hat dieses Äußerungsfeld auch Zukunft?
Es ist eine besondere Parallelaktion des Kunstmuseums. Diese stärkste Dieter-Roth- Ausstellung, die man, wie ich finde, nur erfahren kann, wenn man auch in die Sammlungsräume im Untergeschoss geht, wenn man die letzten Räume aufsucht, in denen für immer unverrückbar meine Lieblingsskulptur von Roth steht, die zu Staub zerfallen würde, bewegte man sie. Die Roth-Schau würdigt einen Künstler, für den das Buch essenziell war. Jetzt also eine Ausstellung im Erdgeschoss, die wie ein Kommentar zu der großen Retrospektive wirkt. Und wir wissen alle, dass ein genau gesetzter Kommentar alles bedeuten kann. Das ist die Kraft dieser Ausstellung.
Das Künstlerbuch erlebte ja seine größte Verbreitung in einer Phase, in der Künstler sich intensiv mit Literatur und Musik beschäftigt haben. Ist das nicht ein Widerspruch? Immerhin erleben wir doch nahezu eine Inflation von Entgrenzungen. Was verhindert das Künstlerbuch?
Wir haben immer weniger Kunstbuchverleger, die das finanzielle Risiko tragen, was vor allem meint, es tragen zu können. Und wahrscheinlich ist Entgrenzung die genaue Benennung. Denn die Auseinandersetzung sagen wir mit der „Göttlichen Komödie“ oder einem Musikstück von Arvo Paert erfordert Präzision und Nachdenklichkeit, die das Gegenteil der Entgrenzung ist. Und eines ist so sicher wie das berühmte Amen: In irgendeinem Atelier wird gerade in diesem Moment das Schönste, noch nie gesehene Künstlerbuch gemacht. Davon bin ich überzeugt.
Noch ein Blick auf die Schau im Kunstmuseum – auf was freuen Sie sich besonders?
Ich freue mich auf eine Ausstellung, die man nicht zur Gänze sehen kann. Oft ist es ja nur die eine aufgeschlagene Seite, die wir in einer Vitrine sehen können. Aber sie allein wird die Magie des Ganzen verkörpern. Und natürlich auch darauf, dass wir alles sehen können. Man bekommt das Gefühl und die Gewissheit: Das hätte ich auch sammeln können. Es bedarf keines Reichtums, um das für sich Richtige zu sammeln. Das ist eine wertvolle Erkenntnis.