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Niederländischer Forscher will im Herbst die erste künstlich hergestellte Frikadelle präsentieren.

Vancouver - Beim Essen von Fleisch und Wurst, so scheint es, muss einem mittlerweile der Appetit vergehen. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass von Giftstoffen wie Dioxin oder Keimbelastungen gewarnt wird. Hinzu kommen die Bilder von Großbetrieben, in denen Hühner und Schweine auf engstem Raum eingepfercht sind. Das stößt vielen Verbrauchern unangenehm auf – doch meistens wollen sie nicht auf Fleisch verzichten.

Allein in den Industrieländern verzehrt jeder Erwachsene im Schnitt fast hundert Kilo Fleisch im Jahr. Und auch China, Brasilien und Indien sind auf den Geschmack von Hühnchen und Kotelett gekommen, weshalb die UN-Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass sich der Fleischkonsum weltweit bis zum Jahr 2050 auf jährlich 460 Millionen Tonnen mehr als verdoppeln wird. Um solche Mengen an Fleisch zu produzieren, droht vielerorts das Tierwohl auf der Strecke zu bleiben – ganz abgesehen von dem hohen Energie- und Ressourcenverbrauch bei der Tierhaltung.

Muskelzellen werden zur Frikadelle

Dabei scheint halten die Labore schon eine Lösung parat: zartes, rosa Fleisch – aus der Petrischale. Kein Tier müsste dafür leiden. Ein paar Muskelzellen genügen, aus denen dann in sogenannten Fermentern künstliches Gewebegezüchtet wird. Erst am Wochenende kündigte Mark Post von der Universität Maastricht auf der Jahrestagung des amerikanischen Wissenschaftsverbands AAAS imkanadischen Vancouver an, im Oktober den ersten Burger aus synthetischem Rindereiweiß zu servieren. Für die Stammzellen benötigt Post weiter Schlachttiere, allerdings nur einen Bruchteil von dem, was die herkömmliche Fleischgewinnung erfordert.

Für die fleischliche Vermehrung werden kleine Stückchen von richtigem Fleisch zuerst mit Hilfe einer Zentrifuge in ihre Bestandteile zerlegt. Die Muskelstammzellen werden in eine Nährlösung gelegt und in einen Brutschrank gestellt. Stimmt die Mischung aus Temperatur, Sauerstoff und Kohlendioxid, beginnen die Zellen, sich zu teilen und so zu vermehren.

Doch auch wenn das Rezept für Retortenfleisch einfach klingt, so wachsen saftige Steaks nicht über Nacht in der Petrischale. Die Technik lässt bislang keine Fleischzucht in großen Mengen zu. Hinzu kommt, dass Stammzellen von Nutztieren dazu neigen, sich schnell von selbst zu spezialisierten Zellen zu differenzieren. Das Ergebnis: Nerven statt Muskeln.

Produktion von Kunstfleisch noch teuer

So werden auch noch Jahre vergehen, bis der Burger des Niederländers Mark Post in den Imbissketten zu bestellen ist. Bislang hat er erst winzige Streifen des neuen Fleisches im Labor produziert. Für eine Frikadelle sind aber mehrere Tausend davon nötig. Und wenngleich Mark Post versichert, dass der Labor-Burger in Sachen Geschmack und Aussehen mit einem normalen Burger zu vergleichen sei, wird dem Verbraucher der Unterschied zumindest auf der Rechnung umso schneller deutlich: 250 000 Euro kostet der Prototyp des Fleischklopses.

Irgendwann jedoch wird sich die Produktion von Kunstfleisch rechnen – zumindest laut Hanna Tuomisto, einer Doktorandin an der University of Oxford. Sie veröffentlichte 2010 eine Untersuchung der möglichen Vorteile von Retortenfleisch: Demnach könnte dieses im Vergleich zur herkömmlichen Fleischproduktion den Energieverbrauch in Europa um 35 bis 60 Prozent senken, den Ausstoß von Treibhausgasen um 80 bis 95 Prozent und die Flächennutzung um 98 Prozent. Hinzu käme, dass die 30 Prozent der eisfreien Flächen der Welt, die derzeit als Weideland dienen oder auf denen Futtermittel angebaut werden, neu genutzt werden könnten – beispielsweise um Wälder zu pflanzen, die der Luft Kohlendioxid entziehen.

Menschen sollen einfach weniger Fleisch essen

Derartige Studien über die Vorteile von Retortenfleisch stoßen auf erhebliche Kritik: So warnt Herwig Grimm, Landwirt und Philosoph am Institut für Technik, Theologie und Naturwissenschaften in München, dass der Jubel über das Kunstfleisch zugleich ein Eingeständnis wäre, bei der tiergerechten Nutzviehhaltung versagt zu haben. „Wir sollten an der Verteilung der Lebensmittel arbeiten, die es bereits gibt, bevor wir den nächsten Schritt tun.“

So sieht es auch der Präsident der Organisation Earthsave Canada, David Steel: Die Probleme seien zu lösen, wenn die Menschheit einfach weniger Fleisch und mehr Pflanzen esse. Die in Vancouver präsentierte Technik habe sicher auch positive Aspekte für Umwelt und Tiere, „aber für mich haben auf Pflanzen basierende Alternativen wesentlich mehr Vorteile für das Wohl der Umwelt und sicher auch für das der Tiere als das synthetische Fleisch“, sagt der Molekularbiologe in einem BBC-Interview. Zudem seien große Mengen an Antibiotika und anderen Chemikalien nötig, um dies synthetische Fleisch vor dem Verderben zu bewahren.

Letztlich wird es wohl am Verbraucher liegen, ob Kunstfleisch ein Erfolg wird. Um ihn zu überzeugen, hat Mark Post schon ein Konzept erdacht, um für seinen Labor-Burger zu werben: Er wird den Fleischklops, für den es nur 10 000 vom Rind entnommene Stammzellen brauchte, in die Kamera halten – neben ihm das putzmuntere Spenderrind.