Die Künstler zu finden, war nicht das Problem. Peter Hauer und Julia Humpfer sind die ersten, die mit ihren Bildern den Bahnhof verschönern. Foto: red

Sven Hallwirth möchte, dass in Stuttgart mehr Kunst an den Wänden öffentlicher Gebäude hängt, zum Beispiel im Hauptbahnhof. Dazu hat er etwas getan, was zunächst einmal denkwürdig anmutet.

S-Mitte - Am Anfang dachte ich, Sie sind ein Spinner – das Erstaunliche an diesem Satz ist, dass Sven Hallwirth ihn bisher nur einmal zu hören bekommen hat, bei der Jugendhausgesellschaft.

Hallwirth steht in der Halle des Hauptbahnhofs und hält einen Pappbecher in der Hand, in dem ein Rest Kaffee schwappt. Hier steht ein Mann von bald vierzig Jahren, der sich von seinem bisherigen Leben verabschiedet hat, der sich verschuldet hat, obwohl er arbeitslos ist. Denn: „Ich habe eine Vision.“ Das sagt er oft. Mithin müsste er gemäß der Diagnose des Altkanzlers Helmut Schmidt zum Arzt gehen. Aber beim Arzt war er schon gestern nicht. Gestern hatte er eine Lebensmittelvergiftung, vermutlich jedenfalls. Von den Folgen zittern ihm noch immer die Finger.

Vor ihm zeichnen und sprühen zwei junge Künstler die ersten sichtbaren Symptome seiner Vision auf die Fläche in zwei güldenen Bilderrahmen, Julia Humpfer und Peter Hauer. Seine Visionen sind Fantasien von Kunst, die an möglichst vielen öffentlichen Orten hängt. Er ist kein Künstler, sondern Jurist. Die Kunst müssen andere erschaffen. Er versucht, die Künstler und die Orte zusammenzubringen, an denen die Kunst hängen soll.

Die erste Zusage kam von der Bahn

Was sich als schwierig erwiesen hat. Die Künstler sind nicht sein Problem, sondern Hausbesitzer zu finden, die ihre Fassaden zur Verfügung stellen, um weithin sichtbar ein Gemälde im Großformat an ihnen aufzuhängen. Egal, wo er angefragt hat, im Rathaus oder bei Mahle, bisher war die standardmäßige Antwort eine freundliche Absage. Die einzige Zusage schickte die Bahn. Obendrein bekam Hallwirth von ihr 1000 Euro. Alle drei bis vier Wochen sollen die Bilder in der Bahnhofshalle wechseln.

Hallwirth hat auch Visionen von Kindern und Jugendlichen, die sich für Kunst begeistern lassen. Deren Bilder würde er ebenfalls gern in der Öffentlichkeit hängen sehen. All dies hat für ihn zu tun mit „Heimat und Heimatgefühlen“. Die will er befördern, weil er selbst sich als Stuttgarter „in Hamburg mehr zuhause fühlt als in Stuttgart“. Der Stadt fehle etwas abseits des Kommerzes. Das ist seine Diagnose.

Finanziell unterstützt von der Mutter

Hallwirth ist nicht der Einzige, den in diesen baustellenbewegten Zeiten Visionen von Stadtverschönerung plagen. Aber er ist mit einiger Sicherheit der einzige, der im Alter von knapp vierzig seinen Arbeitsplatz gekündigt hat, um sie zu verwirklichen. Dafür hat er sich keineswegs ein Geldpolster angespart. „Ich muss gucken, dass ich nicht auf meinen Kosten sitzenbleibe“, sagt er. Wie, ist allerdings ein Rätsel. Die Hoffnung ist, dass jemand, der durch die Bahnhofshalle schlendert, eines der Bilder kauft. Hallwirth und der Erschaffer teilen dann das Geld.

Sein Sponsor ist seine Mutter. Sie hat das Material für jene goldenen Rahmen bezahlt. Der Rahmenbauer hat auf sein Geld verzichtet. Ihm gefiel Hallwirths Vision, anders gesagt: „Die Idee finde ich gut.“ Diesen Satz hört er ständig.

„Vielleicht bin ich das Ganze zu naiv angegangen, ich habe einfach losgelegt.“ Diesen Satz sagt er häufig. Nicht, dass ihm die Betriebswirtschaft fremd wäre. Seinen Arbeitsplatz hat er bei einem Insolvenzverwalter gekündigt. Neun Jahre hatte er dort gearbeitet. Aber er ist jüngst Vater geworden. In dieser Zeit hat ihn der Gedanke geplagt, „dass Insolvenzrecht ein sterbender Sachverhalt ist“, sagt er. „Ich wollte lieber etwas erschaffen.“ Einen dazu passenden Arbeitsplatz will er sich später suchen.

2015 vermutlich im Milaneo unterwegs

Er hatte auch Visionen von Sponsoren, aber für die gilt wieder: Er war etwas naiv. Mitten im Jahr, selbstverständlich, waren die Etats längst vergeben. Aber er war zäh. Er reiste in die Bahnzentrale nach Berlin, er sucht und besuchte den Zuständigen im Kulturamt. Er fragte beim Land an, bei der Baden-Württemberg-Stiftung, bei der Kunst- und der Merzakademie, sogar beim Milaneo-Management. Dort bekam er sogar eine Zusage für 2015. Ansonsten bekam er gute Worte und eben den Satz, dass die Idee eine gute sei.

Die Künstler plaudern mit Reisenden, die wissen wollen, was all dies soll. Hallwirth sagt: „Das ist jetzt mein Beitrag zur Heimat“ – der erste, aber womöglich nicht der letzte. Denn zu dem Satz vom Spinner gehört ein Nachsatz: „Inzwischen glaube ich, dass daraus etwas wird.“