Mit großem Geschick wirft die Künstlerin ihren Sand. Foto: Christoph Kutzer

Die Ukrainerin Anna Telbukh schuf im Theaterhaus im Stuttgarter Norden vergängliche Kunstwerke – aus Saharasand.

S-Nord -

Die Mercedes-Benz-Arena, der Fernsehturm, ein Riesenrad, das nur zum Cannstatter Volksfest gehören kann – Stuttgarter Wahrzeichen zieren die Projektionsfläche im Theaterhaus. Nicht fotografiert, nicht aquarelliert, sondern in Sand gemalt. Das Material, mit dem Anna Telbukh am Freitag Ansichten aus der Geschichte der Stadt und Sehenswürdigkeiten von der Grabkapelle auf dem Rotenberg bis zu Schloss Solitude auf eine beleuchtete Glasplatte zaubert, stammt nicht von hier, sondern aus der Sahara.

Für eine optimale Farbgebung mischt sie rote und weiße Körner, die mal aus erhobenen Händen herabrieseln, mal auf der mit Antistatik-Spray präparierten Arbeitsfläche verwischt werden. Jede Bewegung ist genau auf die begleitende Musik abgestimmt. Der Schatten der Hände wird Teil der Performance. Es lohnt sich, neben den in ständigem Wandel begriffenen Motiven auch immer wieder einen Blick auf die grazilen Gesten der Ukrainerin zu riskieren.

Täglich bis zu vier Stunden trainiert

Mehrere Monate hat Telbukh täglich bis zu vier Stunden trainiert, um das Fingerspitzengefühl zu erlangen, das nötig ist, um das Alte Schloss samt Reiterdenkmal von Eberhard im Bart binnen Sekunden in eine Szene vom Stuttgarter Weindorf zu verwandeln. Zünftige Blasmusik erklingt. Auch, als der Gerstensaft zu seinem Recht kommt: in Form eines Brauereiwagens und des Dinkelacker-Wappens.

Neben der Leichtigkeit, mit der sich die Sandkristalle ein ums andere Mal zu Bildern ordnen, besteht der Reiz des Abends vor allem darin, zu erraten, was gerade skizziert wird. Hier und da hilft einem der Ton auf die Sprünge. Wenn Wolle Kriwanek seinem „Fünfer“ hinterherhechelt, kann es nur um den öffentlichen Nahverkehr gehen. Am Ende ist es die Zacke, die über die Schienen rattert. Mit eigenen Augen gesehen hat Anna Telbukh, die in Hamburg lebt, ihre Motive nur teilweise. Die Zeit sei bei ihren Besuchen immer zu knapp gewesen. Das Porsche-Museum hat die 27-Jährige besucht. Die Mercedes-Benz-Welt kennt sie nur von Aufnahmen her. Das hält sie nicht davon ab, die unverkennbare Architektur des Gebäudes sicher wiederzugeben.

Großes Porträt von Manfred Rommel

Zwischendurch beleben Persönlichkeiten den Bilderreigen. Reformator Johannes Brenz ist zwar in Weil der Stadt geboren, immerhin aber in Stuttgart gestorben. Zu geistlicher Chormusik darf er seinem Zeitgenossen Luther gegenübertreten. Carl Eugen blickt zufrieden auf neu errichtete Prunkbauten. Ein großes Porträt von Manfred Rommel wird von launigen O-Tönen des einstigen Oberbürgermeisters zu seiner Dichtkunst untermalt. Auch die Fantastischen Vier haben einen Gastauftritt. Noch Wünsche? Wie wäre es mit einem Opernbesuch oder einem Blick in die Liederhalle? Auch Stadionatmosphäre hat Telbukh, die ihr Handwerk im Zuge eines Kunststudiums erlernt hat, zu bieten.

Am Ende des Abends schließt sich der Kreis: Das Ausgangsbild, das bereits vor Beginn der Show zu sehen war, wird live rekonstruiert. Wer mag, darf sich nun noch selbst als an der körnigen Materie versuchen. Doch Bemühungen, nennenswerte Ergebnisse zu erzielen, verlaufen im Sande. Es ist eben noch kein Meister vom Himmel gefallen.