Damit kann die Kobold-Beraterin Gisela Strauß auch den Kunden Francois Costin beim Vorführtermin beeindrucken. Der Staubsauger ist vielseitiger einsetzbar, als er denkt. Foto: factum/Granville

Der vermeintlich antiquierte Direktvertrieb feiert einen Boom. Im Internetzeitalter schätzen die Kunden persönlichen Kontakt. Der wird für Staubsaugerberaterinnen wie Gisela Strauß aus Gerlingen zur Herausforderung.

Gerlingen - Gisela Strauß hebt zwei schwere Koffer aus dem Wagen, stapelt sie übereinander, hängt noch eine Tasche um und schiebt sich mit dem schweren Gepäck durch lange Flure zu ihrem Kunden. Das Firmenbüro ist schmucklos und groß, die Luft kühl und ein klein wenig staubig, der Boden gefliest, PVC. Kein Teppich, nicht einmal ein Abtreter. Böden sind entscheidend für ihre Arbeit, denn in den Koffern stecken ein Bodenstaubsauger, ein Saugwischer und ein Handstaubsauger. Strauß ist Kundenberaterin für Kobold, einer der wichtigsten Marken von Vorwerk und die wohl bekannteste Staubsaugermarke im Land. Genauso entscheidend ist deshalb für sie der Blick ins Gesicht des Kunden: Das von François Costin ist freundlich, aber auch etwas skeptisch. Doch zum Glück ist der 64-Jährige vorbelastet: „Bisher habe ich nur mit Vorwerk-Staubsaugern gearbeitet“, sagt er.

Strauß ist eine von mehr als 2000 selbstständigen Vertriebspartnern von Kobold-Staubsaugern in Deutschland, im Volksmund auch Vertreter genannt. „Ich mag den Namen nicht“, sagt sie, „er klingt nach unangekündigten Hausbesuchen und einem Fuß in der Tür.“ Seit sieben Jahren ist die 55-Jährige in Gerlingen aktiv. Kundenberaterinnen wie sie ziehen schon lange nicht mehr von Tür zu Tür, sondern arbeiten nach Termin die Kundenlisten in ihren Bezirken ab. 2500 Haushalte mit Kobold-Staubsaugern in der 20 000-Einwohner-Stadt fasst die Liste bei ihr. Als Strauß vor sieben Jahren als Beraterin begann, ackerte sie Seite für Seite durch. Stellte sich als neue Kobold-Beraterin vor. Machte Termine aus. Zeigte ihr Serviceheft. Sagte ihren Kennlernspruch auf. Zwei Jahre lang, dann war sie durch. „Am Anfang habe ich mich überfordert gefühlt. Ich musste mir das Vertrauen der Kunden hart erarbeiten.“

Alle zwölf bis 18 Monate schaut Strauß bei den Kunden vorbei – dann geht der Vorrat an Staubsaugertüten zu Ende

Alle zwölf bis 18 Monate schaut sie inzwischen bei den Kunden vorbei, dann geht in der Regel der Vorrat an Staubsaugertüten zu Ende. Die Fleißarbeit lohnt sich, an manchen Tagen spielen die Ersatzartikel bis zu 150 Euro ein. Vor allem aber schaffen die häufigen Kontakte Sympathie. „Zwei von drei Kunden kaufen auch einen Staubsauger von mir. Meine Quote ist hoch.“ 18 Prozent Grundprovision erhält sie dann. Geben weniger als fünf Prozent der Kunden Waren wieder zurück, kommen fünf Prozent Provision obendrauf. Weil sie überdurchschnittlich viel Umsatz macht, erhält Strauß noch einige Prozent extra.

Im boomenden Direktmarketing, bei dem Produkte meist in den Wohnungen präsentiert werden, geht Strauß damit die harte Tour. Ihre Kolleginnen haben es leichter. Kundenberaterinnen für Thermomix oder Tupperware zum Beispiel. In heimeliger Wohnzimmer-Atmosphäre stellen sie die Produkte samt Häppchen, Sekt und etwas Klatsch vor. Fünf Kundinnen – meist sind es Frauen – schauen im Schnitt vorbei. Solche Verkaufspartys boomen, branchenweit gehen inzwischen fast zwei Drittel der Bestellungen danach ein. Vor allem bei Küchengeräten, Sexartikeln und Kosmetik funktioniert das Gute-Laune-Konzept.

Schon bald könnte es im Direktvertrieb eine Million Vertriebspartner geben

Auch deshalb ist die Zahl der Mitarbeiter im Direktvertrieb im vergangenen Jahr auf 840 000 gewachsen. Schon in einigen Jahren könnte sie die Millionengrenze erreichen, sagt Florian Kraus, Inhaber des Lehrstuhls für Vertrieb und Dienstleistungsmarketing der Uni Mannheim. Die Uni erstellt jährlich eine Studie über die Branche. So stieg im vergangenen Jahr der Umsatz um 8,9 Prozent auf 17,8 Milliarden Euro. Der Direktvertrieb sei eine „unterschätzte Branche“, betont Kraus. „Er hat den Herausforderungen durch das Internet mehr entgegenzusetzen als der Einzelhandel. Viele Verbraucher wollen das gemeinschaftliche Erlebnis.“

Das Erlebnis von Strauß sieht im Büro von Costin bislang so aus: Sie hat den Handstaubsauger präsentiert und die Raumluftfilterung erklärt. Dann reicht sie ihm den Bodenstaubsauger, er solle selbst mal ausprobieren. Costin fährt über eine Stelle, die nicht schmutzig erscheint. Strauß warnt Costin, dass jetzt mehr Schmutz auf dem Staubsaugertuch hafte, als er wohl erwarte, und Costin sagt, die Sache mit dem Tuch sei bestimmt ein Trick. Das Tuch ist schwarz. „Mit uns können sie ihre Wohnung tiefenreinigen. Vorwerk steht für eine hohe Qualität“, sagt Strauß. Die gebürtige Hessin schwäbelt jetzt dabei. „Und für einen hohen Preis“, erwidert Costin: „Wenn ich es steril will, gehe ich ins Krankenhaus.“ Dann müssen beide lachen.

„Früher hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich einmal eine Kundenberaterin werden würde“

„Früher hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich einmal eine Kundenberaterin werden würde.“ Strauß sitzt während des Gesprächs in einem Bäckercafé in Gerlingen und zeigt auf einige freie Quadratmeter in einem Einkaufszentrum, wo sie regelmäßig einen kleinen Stand aufbaut. Man müsse dorthin, wo es potenzielle Kunden gebe, sagt sie: „Kundenlisten allein reichen nicht mehr. Der Vertrieb ist vielseitiger geworden.“

Dabei habe ihr Berufsleben eigentlich einfach angefangen. Als Schreibkraft in einer Oberfinanzdirektion hat sie eine sichere Anstellung. Doch sie kündigt und fängt in einer Tankstelle als Kassiererin an. „Ich dachte, in der freien Marktwirtschaft könnte ich mehr verdienen und mit meinen beiden kleinen Kindern flexibler sein“, sagt sie. „Das war naiv.“ Doch Strauß wird gekündigt und geht jahrelang zum Putzen, damit sie alleine arbeiten kann. Nebenher macht sie eine Ausbildung in Transaktionsanalyse – „den Weg zur Autonomie“, wie sie es nennt. „Ich war wenig konfliktfähig“, sagt sie. Dann kommt die Gelegenheit bei Vorwerk. Mit 48 Jahren wagt sie den Neuanfang.

Ihre Biografie entspreche vieler anderer im Direktmarketing, sagt Florian Kraus von der Uni Mannheim. „Ein Berater im Direktmarketing braucht keine formale Ausbildung. Das hat Charme für Menschen, die anderswo keine Chance haben.“ Doch das oft noch schlechte Image der Branche sei falsch. So starteten die meisten ihre Laufbahn, weil sie sich für die Produkte wie den Thermomix begeisterten. Die flexiblen Arbeitszeiten seien vor allem für Frauen mit Kindern interessant. Außerdem sei der Anteil von weiblichen Führungskräften besonders im Außendienst mit mehr als 80 Prozent sehr hoch. „Und der Verdienst erscheint nur niedrig, weil 83 Prozent der Berater im Nebenerwerb arbeiten.“

2500 bis 3000 Euro brutto im Monat verdient sie dabei im Schnitt – bei knapp 20 Stunden die Woche

Knapp 20 Stunden die Woche sind es bei Strauß. 2500 bis 3000 Euro brutto im Monat verdient sie dabei im Schnitt. Das ist beachtlich, in anderen Bereichen verdienen Berater weniger. Doch Strauß’ Verdienst ist gefährdet, weil ein Konkurrent im eigenen Revier auftaucht. Ein Mann verkauft seit einigen Jahren Ersatzteile für die bekannte Staubsauger-Marke, es sind alles Fremdprodukte. Das ist legal, doch Strauß muss seitdem noch mehr um das Kundenvertrauen werben und Telefonate führen. „Neulich hat eine Kundin angerufen, die den Mann für einen offiziellen Kobold-Berater hielt“, sagt sie und zieht die Rechnung hervor: Filter, Microfilter und Rundbürsten – „alles überteuert“. Die Kundin, über 80 Jahre alt, wolle nichts mehr mit Vorwerk zu tun haben. „Den Staubsauger hat sie verkauft.“

Auch bei Vorwerk kennt man das Problem, das auch andere Berater in der Region Stuttgart betrifft. Juristisch könne man dagegen nicht vorgehen. „Viele Leute wollen am Erfolg einer Marke partizipieren. Es gibt viele Trittbrettfahrer“, heißt es in Vorwerks Geschäftsbereich Kobold. „Die Berater müssen ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen, um die Kunden zu halten. Konkurrenten können das zunichtemachen.“

Wird Costin den Staubsauger tatsächlich kaufen?

Bei François Costin ist der Mann noch nicht gewesen. Costin hat offensichtlich Gefallen an dem Bodenstaubsauger gefunden. Er brauche eine zusätzliche Düse, um hinter dem Wasserbett zu saugen, sagt er. Zu Hause habe er Laminat und Vinylboden, aber eigentlich sei er ein Teppichbodenfan. Strauß nennt freundlich und sachlich den Preis: das Set mit drei Motoren für 1012 Euro netto. Rund 250 Euro würde sie davon bekommen.

„Wie wollen wir es machen?“, fragt sie. „Lassen Sie mir einen Tag Zeit zum Nachdenken“, antwortet Costin, und Strauß packt den Bodenstaubsauger, Saugwischer und Handstaubsauger wieder ein.