Der Abgasskandal hat eine ganze Flut von Prozessen von Autokäufern gegen VW ausgelöst. Foto: dpa

In München fordert ein VW-Kunde Schadenersatz wegen des Dieselbetrugs. Zugleich soll ein inhaftierter VW-Manager in den USA befragt werden. Davon versprechen sich die Anwälte weitere Munition für Prozesse gegen den Autoriesen.

Stuttgart - Im Streit um Schadenersatz für deutsche VW-Kunden, die vom Abgasskandal betroffen sind, soll der Autobauer nun von zwei Seiten in die Zange genommen werden. Der Rechtsdienstleister My-right will eine Klage vor dem Landgericht München einreichen. Zugleich will die US-Kanzlei Hausfeld den VW-Manager Oliver S. in den USA befragen, der in den Abgasskandal verwickelt sein soll und in Haft sitzt. „Mit unserer Klage wollen wir die Erkenntnismöglichkeiten in den USA mit dem deutschen Prozessrecht verbinden“, begründete der Jurist Jan-Eike Andresen diesen Vorstoß. Andresen ist Mitgründer der Online-Plattform My-right, die mit Hausfeld eng zusammenarbeitet.

Weil es in Deutschland keine Sammelklagen nach amerikanischem Muster gibt, bündelt My-right die Forderungen geschädigter VW-Kunden. Die Kunden sparen sich dadurch einen teuren juristischen Alleingang mit ungewissem Ausgang. Durch die Bündelung soll zugleich der Druck auf VW erhöht werden. Die Anwälte von Hausfeld versuchen dann im Auftrag des Rechtsdienstleisters, Schadenersatz zu erhalten. Hausfeld zählt bei Sammelklagen in den USA zu den ersten Adressen. Mit VW streben die Anwälte in Deutschland zunächst einen Vergleich an. Falls VW sich weiterhin hartleibig zeigt, sollen die gebündelten Forderungen in eine Klage münden. Im Erfolgsfall kassiert My-right dann einen Teil des Schadenersatzes als Provision.

Auf VW könnte eine ganze Welle neuer Klagen in Europa zukommen

In diesem Jahr haben die Anwälte von Hausfeld zugleich damit begonnen, Einzelfälle vor Gericht zu bringen, um vorab exemplarisch rechtliche Fragen zu klären. So ist im Januar eine Klage in Braunschweig eingereicht worden, in der ein VW-Kunde, der 2010 einen VW Eos gekauft hatte, den vollen Neupreis als Schadenersatz verlangt. Die Anwälte argumentieren, dass die europäische Typzulassung wegen der Betrügereien erloschen sei. Dabei haben sie den Hintergedanken, dass die Braunschweiger Richter zur Frage der Typzulassung eine Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg einholen werden. Diese könnte dann der Türöffner dazu sein, für geschädigte Kunden in ganz Europa aktiv zu werden. Damit käme eine ganze Lawine weiterer Forderungen auf VW zu.

Auch im Münchner Fall argumentieren die Anwälte, dass VW seine mit manipulierter Software verkauften Wagen ohne gültige Zulassung verkauft habe und deshalb Schadenersatz leisten müsse. Von der Befragung des VW-Managers Oliver S. in den USA verspricht sich Andresen Munition für die deutschen Fälle. „Auch im deutschen Recht liegt der Schlüssel für den Schadenersatz von VW in der Frage, wer wann was im Management des Autokonzerns gewusst hat“, so der Jurist. Andresen hofft, dass der inhaftierte VW-Manager auspacken wird. Andresen zeigt sich sehr zuversichtlich, dass die Befragung nach US-Recht genehmigt wird. Sollte die Befragung den Verdacht erhärten, dass der VW-Vorstand schon vor Bekanntwerden des Abgasskandals im September 2015 informiert war, dürfte dies nach Einschätzung von Andresen nicht nur die eigenen Klagen stützen, sondern auch die zahllosen Klagen von Aktionären, die sich getäuscht sehen.

In den USA zahlt der Autokonzern Entschädigungen in Milliardenhöhe

VW lehnt bis jetzt in Deutschland im Gegensatz zu den USA jede Entschädigung ab. Die Wiedergutmachung beschränkt sich auf die technische Nachrüstung. In den USA erhalten die betroffenen Kunden Schadenersatz, der insgesamt die Höhe von Milliarden Dollar erreicht. VW begründet dies mit den unterschiedlichen Rechtssystemen und damit, dass die Wagen nach der Umrüstung den technischen Vorschriften entsprächen. Auch beim Kraftstoffverbrauch oder der Wertentwicklung der Fahrzeuge gebe es keine Nachteile. Die Ungleichbehandlung hat indes bereits eine ganze Welle von Klagen ausgelöst. Zudem protestieren Verbraucherschützer und Politiker dagegen, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Der VW-Chef Matthias Müller hat erst vor Kurzem nach einem Treffen mit der EU-Verbraucherkommissarin Edith Jourova eine Entschädigung von Kunden in Europa abgelehnt. Jourova forderte dagegen: „EU-Verbraucher verdienen eine faire Behandlung, und VW sollte sich in diesem Punkt bald bewegen.“

In Deutschland hat der Konzern bisher die meisten Klagen gewonnen

Nach Angaben eines VW-Sprechers sind bisher in Deutschland 150 Klagen von VW-Kunden gegen den Autohersteller oder Händler vor Landgerichten entschieden worden. In etwa drei Viertel dieser Prozesse seien die Forderungen der Kunden abgewiesen worden. Es gebe mehrere Revisionsverfahren, doch habe noch kein Prozess in zweiter Instanz begonnen.

Dass es immer mehr Prozesse in erster Instanz gibt, die auch zugunsten der Kunden ausgehen, wird nach Ansicht von My-right-Mitgründer Andresen dazu führen, dass auch zunehmend Flottenbetreiber gegen VW vor Gericht ziehen. Bei dem Rechtsdienstleister haben sich bereits eine ganze Reihe von Großkunden registrieren lassen, so beispielsweise ein Mietwagenunternehmen mit rund 1500 Fahrzeugen und ein süddeutsches Bauunternehmen mit etwa 500 Fahrzeugen. Die Forderungen von ca. 20 000 VW-Kunden seien bisher für eine Klage aufbereitet worden, weitere seien in Arbeit.