Beim jährlich stattfindenden Bundesschwabenball und bei der Kulturtagung werden die Kultur und das Gedenken an die eigene Herkunft hochgehalten. Foto: factum/Archiv

Sie wurden vertrieben und mussten ihr Hab und Gut zurücklassen: Viele der Ungarndeutschen fanden vor 71 Jahren eine neue Heimat in Gerlingen. Sie trafen sich am Samstag zu einer Kulturtagung.

Gerlingen - Vor 71 Jahren ist in Gerlingen passiert, was heutzutage allerorten in Deutschland geschieht: Menschen kamen hierher, um in dem für sie fremden Land zu leben und zu arbeiten. Der Unterschied zu den Menschen damals und den Flüchtlingen heute ist der, dass die etwa 200 000 Ungarndeutschen ihre Heimat nicht teilweise freiwillig verließen, sondern die ungarische Regierung sie nach dem Ende des Krieges 1946 vertrieb. Viele fanden eine neue Heimat in Gerlingen.

Das Ungarndeutschtum wird gepflegt

Kathi Gajdos-Frank referierte am Samstag bei der Kulturtagung der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn (LDU) im Gerlinger Rathaus über die Folgen für die Menschen, die damals in Ungarn zurückblieben. Dass ausgerechnet Kathi Gajdos-Frank als Referentin eingeladen war, ist kein Zufall: Sie ist seit 2011 Direktorin des Jakob-Bleyer-Heimatmuseums in Budaörs/Wudersch. Auch wenn der 1874 geborene ungarische Literaturwissenschaftler, Germanist und Abgeordnete Jakob Bleyer schon seit 84 Jahren tot ist, spielt er unverändert eine wichtige Rolle im Gedankengut der Ungarndeutschen. „In den 20- und 30er-Jahren war er einer der wichtigsten Ungarndeutschen, wir sind ihm daher noch immer eng verbunden, auch wenn manche jungen Nachkommen nicht mehr so viel über ihn wissen“, sagt Stefan Bürgermayer aus dem ungarischen Pécs (Fünfkirchen), der Mitglied der Jakob-Bleyer-Gemeinschaft ist.

Bleyer selbst hatte die nach ihm benannte Gemeinschaft gegründet mit dem Ziel, die Volksbildung und das Ungarndeutschtum hochzuhalten. Zudem gründete er im Januar 1921 das „Sonntagsblatt für das deutsche Volk“ in Ungarn und wurde dessen Herausgeber. Drei Jahre später wurde das „Sonntagsblatt“ offiziell zum Sprachrohr des Ungarnländischen Deutschen Volksbildungsvereins (UDV). Seit 1935 erscheint die Zeitung unter dem Namen „Neues Sonntagsblatt“.

Bleyer hat viel für die Ungarndeutschen getan

Patrik Schwarcz-Kiefer arbeitet als Redakteur beim „Neuen Sonntagsblatt“ und bedauert, dass sich viele junge Nachfahren der Ungarndeutschen ihrer Wurzeln nicht mehr so bewusst sind. „Aber das ist ja heutzutage eher ein generelles Problem und nicht speziell das der Ungarndeutschen“, sagt er. Es gebe heutzutage immer weniger Menschen, denen ihre Herkunft bewusst sei. „Da die älteren Generationen verschwinden, die eine engere Beziehung zu Ungarn hatten, wird dieses Erbe an Bedeutung verlieren“, befürchtet er. Daher finde er es besonders wichtig, das Gedenken an Jakob Bleyer auch in der jungen Generation hochzuhalten. „Er hat sehr viel für unser Volk getan, das darf man nicht vergessen“, sagt Schwarcz-Kiefer.

In Gerlingen erinnert eine Straße mit ihrem Namen an Bleyer. Der Beschluss sei im Jahr 1981 einstimmig vom Gemeinderat gefasst worden, sagt Klaus Herrmann vom Gerlinger Stadtarchiv. „Die Ungarndeutschen in Gerlingen hatten damals die Idee mit dem Straßennamen, und diesem Wunsch ist man gerne nachgekommen.“