Bei Kaffee und Toastie Tomate-Mozzarella: Johannes Gerlitz im Café Babel Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

In den Sommerwochen treffen sich STN-Kulturredakteure mit Kulturschaffenden zu einem Frühstück in der Stadt. In dieser Folge im Café Babel: der Kulturmanager Johannes Gerlitz – und die Frage: Braucht eine moderne Stadtkultur mehr Sub- als Hochkultur?

Stuttgart - Das Wichtigste gleich mal vorweg: Das WG-Zimmer sollte etwa 20 Quadratmeter groß sein, hell, vorzugsweise in Mitte, Süd, Ost oder West und nicht mehr als 450 Euro kosten. Dreier-WG wäre optimal, nur Rauchen in der Küche, das geht gar nicht. Gewünschter Einzugstermin: Anfang September. Daher Dringlichkeitsstufe 1.

Wie schön, dass Johannes Gerlitz gerade auf Wohnungssuche ist. Der 24-Jährige ist eigentlich ein typischer Vertreter jener jungen Stadtbewohner, die nur für ihr Studium oder ihre Ausbildung nach Stuttgart kommen, danach aber sofort wieder in coolere Gegenden dieser Welt wegziehen. Auch Gerlitz hatte sein altes WG-Zimmer in der Nähe vom Neckartor vorsorglich längst gekündigt; das Aufbaustudium Kulturwissenschaft und Kulturmanagement an der Hochschule in Ludwigsburg ist abgeschlossen. Aber nun bleibt der Sonthofener doch im Südwesten: Die Agentur Kulturgold am Feuersee hat ihm eine Stelle angeboten. „Jetzt muss ich halt durch den WG-Bewerbungsmarathon. Jeden Tag irgendwo Vorstellungstermin. Aber wird schon klappen. Ich hoffe nur, ich komme ein bisschen weg vom Neckartor. Man wird inzwischen ja überall in Deutschland gefragt, wie man es bei der schlechten Luft dort überhaupt aushalten kann.“

Schön also auch, dass Gerlitz trotz tickender Umzugs-Zeituhr pünktlich zum Kulturfrühstück ins Café Babel kommt. Der auch am Morgen schon gut disponierte junge Mann mag das hippe Lokal an der Ecke Uhlandstraße/Blumenstraße privat sehr gern. „Mir liegt der Shabby Chic“, also das scheinbar wild aus dem Speicher zusammengewürfelte Alt-Mobiliar. Dafür muss er beim Treffen mit dem Journalisten Abstriche beim Menü machen: „Ich bin beim Frühstück eigentlich ein Süßer“. Marmelade und Croissants hat die Tagescrew aber irgendwie vergessen einzukaufen; deswegen gibt es einen Tomate-Mozzarella-Toast mit Fruchtsaft und Cappucchino. „Ich trinke nur einen Kaffee pro Tag, damit der dann wirklich aufputscht.“

„Wir brauchen mehr Überraschungen“

So durchdacht wie der Nahrungsplan ist bei Gerlitz wie bei so vielen seiner Altersgenossen die ganze Lebensgestaltung. Mit 24 Jahren weist seine Biografie Bildungsstationen in einer Quantität und Qualität auf, die in früheren Generationen noch nicht mal 48-Jährige hätten vorweisen können. Ein Bachelor-Studium Musiktheaterwissenschaft in Bayreuth bereits komplett abgeschlossen, Theater- und Musicalerfahrung, ein Jahr Schauspielensemble, Praktikum hier und da, vor allem auch in Südamerika – und nun auch schon fertig ausgebildeter Kulturmanager. Wie kriegt man das in so kurzer Zeit alles verarbeitet? „Wieso? Das ist doch normal.“

Obwohl Student in Ludwigsburg, hat Gerlitz in Stuttgart gewohnt, „das war aber eher Zufall.“ Sein Blick auf die Stadt und ihre Kultur ist von frischer Voreingenommenheit: „Die großen Player sind gut aufgestellt und ja auch überregional im Gespräch, Oper, Staatsgalerie, Orchester. Aber die Stadt könnte ein bisschen mehr Überraschendes bieten. Das nicht gleich so Perfekte, das Prozessuale. Mehr Subkultur, mehr Lässigkeit.“ Auf die Frage, was seine drei Lieblings-Kulturorte sind, nennt er „die Kulturinsel in Cannstatt, ein Pinguin-Eis am Eugensplatz, und am Sonntagnachmittag im Kowalski tanzen.“ Letzteres ist ein Elektropop-Club in Hauptbahnhofsnähe.

Auf der Suche nach Vorbildern ein Blick nach Dänemark

Das ist das Interessante, wenn man sich mit Kulturleuten der Generation Gerlitz unterhält: Sie haben zwar auch den „Tod in Venedig“ in der Stuttgarter Oper und die „Räuber“ im Schauspielhaus gesehen und fanden es auch interessant. Aber bei der Frage nach Kulturwünschen geht es kaum um einzelne Inszenierungen und Künstler und ihre weltverändernden Botschaften, um das gesellschaftskritische Potenzial der Künste, um irgendein „J’accuse!“. Es geht um die Qualität von Erlebnissen. „Kultur muss ein besonderer Ort sein, wo Menschen etwas gemeinsam erleben, etwas Festliches oder Sinn-Stiftendes. Es geht immer auch um Austausch von Meinungen und neuen Ideen.“ Hat er so so etwas in Stuttgart jüngst erlebt? „Ich fand zuletzt den ,Menschenfeind’ am Schauspielhaus klasse. Es war auch für die Zuschauer mehr wie eine Party, ein Musikabend. Da hatte man hinterher was zu reden.“

Welches Projekt würde der nun fertig ausgebildete Kulturmanager in Stuttgart verwirklichen, wenn er Geld und Macht dazu hätte? „In der Kulturhauptstadt Aarhus gibt es die Bibliothek Dokk1, die nicht nur Bücher bietet, sondern auch Probenräume, Ateliers, kleine Bühnen, Projektbüros. Da sind den ganzen Tag Leute unterwegs, da entsteht vielleicht jeden Tag eine neue Idee.“ Solch ein Kulturhaus nun auch in Stuttgart? „Ja. Und abends inszeniert Barrie Kosky von der Komischen Oper Berlin hier eine große Operette aus den Zwanzigern“. So läuft das jetzt: Peymann und Castorf auf Rente in der Toskana – Generation Gerlitz auf WG-Suche im Kessel.