Viele Bausparer mit Altverträgen lassen ihre gut verzinsten Sparguthaben weiterlaufen und nehmen das Darlehen nicht in Anspruch. Foto: Mauritius

Die Bausparwelt blickt an diesem Dienstag nach Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof (BGH) entscheidet über die Kündigung von Altverträgen. Der Ausgang ist völlig offen.

Stuttgart - Die Bausparkassen geben sich siegessicher, die Verbraucherschützer auch. Eines verbindet beide: die Hoffnung, dass mit dem erwarteten Richterspruch aus Karlsruhe endlich Rechtssicherheit einkehrt. Über 100 Verfahren sollen in der Sache beim Bundesgerichtshof (BGH) anhängig sein. Von den beiden Fällen, die am Dienstag verhandelt werden (XI ZR 185/16 und XI ZR 272/16), erhofft sich die Branche ein Grundsatzurteil.

Seitdem die Bausparkassen 2014 in großem Stil begonnen haben, Altverträge zu kündigen, wenn Bausparer zehn Jahre nach der Zuteilung das Bauspardarlehen nicht in Anspruch genommen haben, wehren sich Kunden gerichtlich dagegen. Die Urteile fielen unterschiedlich aus. Sieben Oberlandesgerichte (OLG) haben in 75 Entscheidungen zugunsten der Bausparkassen geurteilt, drei OLG haben in vier Entscheidungen zugunsten der Bausparer Recht gesprochen. Die allermeisten Fälle sind gar nicht entschieden worden – die Parteien haben sich verglichen. Wenn sich für die Bausparkassen eine Niederlage vor Gericht abzeichnete, haben sie ein Vergleichsangebot aus dem Hut gezaubert, sagen Branchenkenner. Ein Richterspruch wurde so ganz oft vermieden.

Die Verträge, um die es geht, sind im Schnitt 22 Jahre alt. Sie stammen aus einer Zeit, in der die Sparzinsen aus heutiger Sicht sehr attraktiv waren – sie reichen bis über vier Prozent. Die dazugehörigen Darlehenszinsen sind dagegen aus heutiger Sicht viel zu hoch, weshalb die Bausparer zwar ihre Spareinlagen weiterlaufen lassen, auf die Darlehen aber verzichten und lieber ein normales Hypothekendarlehen aufnehmen, das es derzeit zu historisch niedrigen Zinsen gibt. Vom Grundsatz des Bauspargesetzes ist ein Bausparvertrag keine Geldanlage sondern ein zweckgebundenes Sparen. Allerdings haben die Bausparkassen jahrzehntelang mit der Flexibilität des Bausparvertrags geworben und Bausparer sogar mit einem Bonus belohnt, wenn sie auf ihr Darlehen verzichtet haben. „Aus heutiger Sicht hat sich das als Kalkulationsfehler der Bausparkassen erwiesen“, sagt der Stuttgarter Anwalt Oliver Renner.

Nullzinspolitik der EZB lässt Erträge schmelzen

Weil die Bausparkassen auf einem Berg solcher Altverträge sitzen und die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank ihre Erträge schmelzen lässt, haben sie zum Mittel der Kündigung gegriffen. Anlass für die Kündigung ist, dass Bausparer zehn Jahre nach der Zuteilung – also nachdem ihnen das Darlehen angeboten wurde – das Darlehen noch nicht in Anspruch genommen haben. Vertraglich war diese Möglichkeit der Kündigung nicht vorgesehen. Die Kassen berufen sich deshalb auf eine spezielle Regelung im Kreditrecht, die Darlehensnehmern eine Kündigung zehn Jahre nach vollständigem Empfang des Darlehens erlaubt. Sie argumentieren, dass sie in der Sparphase des Bausparvertrags selbst Kreditnehmer ihres Kunden seien und ihnen deshalb zehn Jahre nach der Zuteilung das Kündigungsrecht zustünde. Solche Kündigungen „machen keine Freude und sind für die Reputation gewiss nicht förderlich“, sagt Andreas Zehnder, der Vorstandsvorsitzende des Verbands der Privaten Bausparkassen. Sie seien im Interesse der überwiegenden Zahl der Bausparkunden aber „unvermeidlich“. Gestritten wird seither, ob diese Regelung auf Bausparkassen überhaupt angewendet werden kann und falls ja, wann sie angewendet werden kann – ob mit der Zuteilung das Darlehen vollständig empfangen worden ist.

Lesen Sie auch: Bausparverträge - Fragen und Antworten zum Grundsatz-Urteil

Es ist völlig offen, wie der Bundesgerichtshof entscheidet

Mit der Kündigung von Bausparverträgen zehn Jahre nach der Zuteilung haben die Bausparkassen Neuland betreten. Insofern ist auch „völlig offen“, wie der BGH entscheiden wird, sagt Renner. Die Spannung unter den Beteiligten ist groß. Die Argumente sind ausgetauscht, es wird erwartet, dass der 11. Senat noch am Dienstag ein Urteil verkündet. Auch wenn die besseren Argumente „klar für die Bausparer sprechen“, so der Anwalt Tobias Pielsticker, sei es „völlig unvorhersehbar“, wie der BGH am Dienstag entscheiden wird.

Pielsticker verweist darauf, dass die Bausparkassen durchaus einen Hebel gehabt hätten, die Altverträge aufzulösen. In den meisten Fällen steht in den Bedingungen des Bausparvertrags, dass bis zur erstmaligen Auszahlung des Bauspardarlehens der Kunde den Regelsparbeitrag einzahlen muss. Viele Kunden zahlen aber nichts mehr ein. „Die Bausparkasse hat hier einen vertraglichen Anspruch auf den Regelsparbeitrag. Wird er nicht gezahlt, darf sie kündigen“, sagt Pielsticker. Darauf hat auch das Oberlandesgericht Stuttgart in seiner Urteilsbegründung hingewiesen. Die Probleme der Bausparkassen sind nach Ansicht des Anwalts entstanden, weil die Institute „freiwillig ihre Rechte nicht geltend gemacht haben“. Das sei eine unternehmerische Entscheidung.

Mit Unbehagen sehen Branchenbeobachter, dass Jürgen Ellenberger, der Vorsitzende Richter des 11. Senats am BGH, der am Dienstag verhandelt, gemeinsam mit Peter O. Mülbert ein Blockseminar an der Universität Mainz zum Thema Bank- und Kapitalmarktrecht abhält. Mülbert ist der Rechtsprofessor, der in einem der großen Standard-BGB-Kommentare die Meinung vertritt, dass die Kündigung zehn Jahre nach Zuteilung rechtens ist. Vom Gericht war dazu keine Stellungnahme zu bekommen.