Demonstranten fordern das Ende des Kükentötens. Methoden dazu werden derzeit erforscht, doch es gibt auch Bedenken. Wie es in einer Brüterei aussieht, sehen Sie in unserer Bildergalerie Foto: dpa

45 Millionen männliche Küken werden pro Jahr in Deutschland nach dem Schlüpfen getötet, weil sie nicht als Legehennen taugen. Bis 2017 soll eine neue Methode zur Geschlechtsbestimmung damit Schluss machen. Doch Experten zweifeln an dem Plan. Wie es in einer Brüterei aussieht, sehen Sie in unserer Bildergalerie.

Stuttgart/Eppingen - Ein tausendfaches Fiepen erfüllt den Raum. Plastikboxen stapeln sich bis auf Mannshöhe. Darin herrscht ein flauschiges Gewusel. Rund 60 000 Küken sind an diesem Tag geschlüpft in der Brüterei Hockenberger im Kraichgau. Die Hälfte sitzt jetzt hier, wird von Hand gegen Geflügellähme geimpft und zum Transport vorbereitet. Den gelbbraunen Tierchen steht eine Zukunft als Legehennen bevor.

Die andere Hälfte der Frischgeschlüpften hatte weniger Glück. Weil es sich dabei um Männchen handelt, eignen sie sich nach den Gesetzen der Natur nicht zum Eierlegen. Zur Mast allerdings auch nicht so recht, dafür braucht es andere Tiere, die viel schneller wachsen. Also hat die Küken, kaum aus dem Ei, ein Schicksal ereilt, das vielen grausam erscheint: Sie sind getötet worden. Sanft eingeschlafen, betäubt durch Kohlendioxid. Nach 30 Sekunden ist alles vorbei.

„Das macht hier keiner gern. Wir würden die Tiere lieber alle lebend abgeben“, sagt Werner Hockenberger. Er leitet das Bio-Unternehmen in der unscheinbaren kleinen Halle in Eppingen-Elsenz. Es gehört zu den beiden wichtigen Anbietern in Baden-Württemberg und ist doch im Vergleich zur bundesweiten Großkonkurrenz ein Winzling. 2,4 Millionen Eier werden hier jedes Jahr von einem Bioland-Betrieb am Niederrhein zum Ausbrüten angeliefert.

Das Brüten übernehmen Maschinen. In den Schränken lagern Zehntausende Eier bei Temperaturen um die 38 Grad. „Wir verwenden Dämmerlicht, das die Lichtverhältnisse simuliert, wenn eine richtige Henne auf den Eiern sitzt“, sagt Hockenberger. Die Kleinen im Ei sollen’s warm und trotz Vollautomatisierung möglichst natürlich haben. Nach drei Wochen schlüpfen sie.

45 Millionen männliche Küken sterben pro Jahr

Auch die 1,2 Millionen Männchen. Jedes zweite Tier eignet sich folglich nicht zur Eierproduktion. „Unser Ziel ist, in diesem Jahr 100 000 von ihnen zu retten“, sagt Hockenberger. Er arbeitet mit Aufzuchtbetrieben zusammen, die zur Bruderhahn-Initiative oder ähnlichen Projekten gehören. Dabei werden die wirtschaftlich unnützen Hähne aufgezogen und später zur Lebensmittelproduktion vermarktet. Das ist teuer. Denn anders als Masttiere brauchen sie nicht vier bis fünf, sondern 20 Wochen, bis sie ihr Endgewicht erreichen. „Das ist noch eine Nische“, sagt Hockenberger mit Bedauern. Die anderen Küken gehen deshalb als Futter an Zoos oder Greifvogelwarten. Die Nachfrage übersteigt das Angebot.

Um die sogenannten Eintagshähne ist eine heftige Diskussion entbrannt. 45 Millionen von ihnen sterben jedes Jahr in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen hat das Verwaltungsgericht jüngst ein Verbot nach einer Klage von Brütereien gekippt. Vor einigen Tagen hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) öffentlichkeitswirksam die Universität Leipzig besucht. Dort erforschen Wissenschaftler eine neue Methode, mit der das Geschlecht der Tiere bereits im Ei bestimmt werden soll.

Dann könnten die Eier mit männlichen Tieren noch vor dem Schlüpfen aussortiert werden. Zwei Millionen Euro hat das Ministerium bisher investiert. Und Schmidt wählt markige Worte: „Mein Ziel ist, dass wir bis 2017 kein Kükenschreddern mehr haben werden.“

Die Pläne des Ministeriums: Augenwischerei?

Wenn Hockenberger das hört, runzelt er die Stirn. Nicht etwa, weil er sich einer ethischen Diskussion verschließen will. „Ich würde am liebsten jedes Hähnchen retten“, sagt er. Aber die Pläne des Ministeriums seien eine „typische politische Augenwischerei pünktlich zu Ostern“. Fachleute schüttelten nur noch die Köpfe, weil sie wüssten, „dass von Schmidts Aussagen die Hälfte falsch ist. Wir sind überrascht über so viel Naivität.“ So kenne er in Deutschland keinen einzigen Betrieb, der Küken schreddere. Das sei allein schon aus wirtschaftlicher Sicht Unfug. Und eine Sauerei dazu: „Lieber würde ich meinen Laden zusperren, als das zu tun.“

Für Hockenberger werfen die Pläne gleich mehrere Fragen auf, die ungeklärt sind. Er ärgert sich über „die verlogene Diskussion“. Denn es gehöre zur Wahrheit, dass die männlichen Küken verwertet werden. Seien sie nicht mehr auf dem Markt, müsste man zum Beispiel Mäuse als Futtertiere extra züchten.

Auch den Zeitplan hält der Bio-Züchter für nicht einhaltbar: „Das dauert eher noch zehn Jahre als zwei.“ Nach heutigem Stand würden die Eier bei der Geschlechtsuntersuchung beschädigt. Das führe dazu, dass Tiere sterben oder später Eier mit Embryos aussortiert würden. „Getötet wird auf jeden Fall“, sagt der 57-Jährige. Da müsse man die Frage stellen, ob man dann nicht lieber die Eier ausbrüte. Für ihn steht fest: Wenn die Methode kommt, muss sie in den ersten drei Tagen des Eis sicher funktionieren.

Und man muss sie sich leisten können. Der Brüterei-Chef hat da aber ganz andere Befürchtungen. Weil die Großindustrie am Projekt beteiligt ist, deutet für ihn vieles darauf hin, dass sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen will. „Solche Unternehmen könnten die aussortierten Eier etwa für die Impfstoff-Produktion verwenden. Und sie könnten die kleineren Konkurrenten aus dem Weg räumen, weil die sich die teure Technik nicht leisten können. Die Pläne sind der Tod der kleinen Brütereien.“

Für zwei Cent mehr pro Ei wären alle Tiere gerettet

Mit dieser Befürchtung ist Hockenberger nicht allein. Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft begrüßt das Vorhaben zwar grundsätzlich, weist aber darauf hin, „dass die Methode auch für kleine, familiengeführte Brütereien finanziell tragbar“ sein müsse. Zudem sei das Problem auf europäischer Ebene zu lösen, sonst wanderten Großbetriebe einfach ins Ausland ab.

Das sieht auch die Landestierschutzbeauftragte so. „Man muss aufpassen, dass kleine Betriebe die Technik einsetzen können“, sagt Cornelie Jäger. Gleichwohl unterstütze man die Pläne. In Baden-Württemberg würden zwar alle geschlüpften Küken „sinnvoll vermarktet“, aber: „Falls es zu einer Bundesratsinitiative kommen sollte, die ein gesetzliches Ende des Kükentötens fordert, sobald die Technik auch für die gewerbsmäßige Anwendung steht, dann würde Baden-Württemberg das vermutlich unterstützen.“

Der Landestierschutzverband hält das Kükentöten für verwerflich. Doch auch dort fordert man, bei der Ausarbeitung der Pläne genau hinzuschauen: „Die Technik ist da, aber solange sie nicht finanzierbar ist, wird sie keiner umsetzen. Da kommt sofort der Verweis auf die internationale Konkurrenz“, sagt Sprecherin Martina Klausmann. Sie bedauert, dass Initiativen wie Bruderhahn nur einen kleinen Teil ausmachen: „Da kommt leider auch wenig von der Politik und von den Verbrauchern.“ Geiz ist ausgerechnet bei Lebensmitteln offenbar immer noch geil.

Für Bio-Züchter Hockenberger wäre eine ganz andere Methode die Lösung des Problems: Man müsste einfach alle Küken großziehen – auch die Hähne. Er macht eine simple Rechnung auf: „Man braucht dafür pro Gockel 7,50 Euro. Bei 45 Millionen Tieren im Jahr wären das nur vier Euro pro deutschem Bürger.“ Er greift in eine Kiste und betrachtet die fiependen Küken in seiner Hand. „Wenn die Leute bereit wären, zwei bis drei Cent mehr pro Ei zu bezahlen, wären auch ohne jede Hochtechnologie alle Tiere gerettet.“ Und die Eintagshähne hätten mehr als ein paar Stunden Leben.

Hintergrund: Eierproduktion in Deutschland

Hintergrund

Eierproduktion in Deutschland

Jeder Deutsche verbraucht pro Jahr etwa 220 Eier. Der größere Teil davon wird in der Bundesrepublik erzeugt, ein Teil muss aber importiert werden. Der Verbrauch ist seit Jahren konstant bis leicht steigend, die Produktion in Deutschland wächst, sodass die Importe geringer werden.

Hühnerrassen, die sich sowohl zur Fleischproduktion als auch zum Eierlegen eignen, gibt es nur wenige. Das vor einigen Jahren gezüchtete sogenannte Zweinutzungshuhn wird kaum nachgefragt. Auch die Betriebe sind in der Regel hoch spezialisiert, nicht zuletzt aus hygienischen Gründen.

In Deutschland schlüpfen jedes Jahr rund 45 Millionen Legehennenküken. Dieselbe Menge an männlichen Tieren wird direkt nach dem Schlüpfen getötet und als Tierfutter weiterverwendet. Besonders Zoos, aber auch Greifvogelwarten oder private Tierhalter nutzen die Küken zum Verfüttern.

Legehennen werden meist nur 15 Monate alt

Die Vorstellung, dass vom Legen der Eier über die Aufzucht der Jungtiere bis zur fertigen Legehenne alles in einem Betrieb passiert, trifft nur noch auf ganz kleine Unternehmen oder manche Bauernhöfe zu. Für die Produktion größerer Mengen an Eiern konzentrieren sich die beteiligten Unternehmen jeweils auf nur einen Schritt.

Die Eier kommen normalerweise aus Elternbetrieben, in denen Hühner Eier speziell für die Zucht legen. Die Eier werden danach in Brütereien gebracht. Die größten deutschen Betriebe sitzen in Hessen und Nordrhein-Westfalen. Sind die Eier ausgebrütet, kommen sie entweder direkt zu Legehennenbetrieben oder in einem weiteren Zwischenschritt zu einem Aufzuchtbetrieb. Dort werden die Hühner groß gezogen, bis sie etwa 18 Wochen alt sind, und danach an die Legehennenbetriebe im ganzen Bundesgebiet ausgeliefert, wo sie mit dem Eierlegen beginnen. Die Käfighaltung ist in Deutschland und der EU verboten. Stattdessen leben die Tiere in Freiland- oder Bodenhaltung.

Legehennen können im Jahr rund 300 Eier legen. Sie werden aber meistens nur 15 Monate alt – ein Zehntel der möglichen Lebensdauer von Hühnern.