Sylvie Guillem ist die Tänzerin des Jahres Foto: Getty

Bei der jährlichen Kritikerumfrage der Zeitschrift „Tanz“ ging kein Preis nach Stuttgart, aber Eric Gauthier und Marco Goecke erhielten große Anerkennung. Kompanie des Jahres wurde das Bayerische Staatsballett unter der Leitung seines geschiedenen Direktors Ivan Liška.

Stuttgart - Selbst in der so jugendfixierten Sparte Tanz schützt ein höheres Alter vor Ehrung nicht: Bei der jährlichen Kritikerumfrage der im Theaterverlag Friedrich Berlin erscheinenden Zeitschrift „Tanz“ belegen gleich zwei Damen mit reichlich Bühnenerfahrung die besten Plätze. Anlässlich ihrer Abschiedstournee in der Spielzeit 2015/16 wurde die 50-jährige Sylvie Guillem zur „Tänzerin des Jahres“ gekürt. Niemand wurde in dieser Kategorie von den 42 Tanzexperten häufiger genannt als die eigenwillige Französin, die am Ballett der Pariser Oper unter Rudolf Nurejews Direktion zum Star avancierte und als freie Akteurin mit wechselnden Partnern immer neue Wege einschlug. Auch Anne Teresa De Keersmaeker ist längst eine Legende. Die Belgierin, die „Shakespeare und Brian Eno, Tanz und Museum zusammenspannt“, wie es in der Würdigung heißt, wurde zur „Choreografin des Jahres“ gewählt. Diese Ehre teilt die 56-Jährige mit dem in New York lebenden Russen Alexei Ratmansky, der sich „Choreograf des Jahres“ nennen darf. Nicht für eine moderne Inszenierung, sondern für die „zukunftsstiftenden Restaurierungen“ von klassisch-akademischen Balletten sprachen die Kritiker dem Talent aus Sankt Petersburg diesen Titel zu. Zuletzt brachte Ratmansky auf Einladung von Ballettdirektor Christian Spuck einen „Schwanensee“ nach Zürich, dessen Bewegungsmaterial er in schriftlichen Quellen mühevoll recherchiert hatte.

Dass Künstler keine Angst davor haben sollten, auf der Bühne hässlich zu sein, zeigt die Würdigung von Steven McRae vom Royal Ballet in London. Der wandlungsfähige Australier beeindruckte die Fachwelt mit der Titelrolle in Liam Scarletts „Frankenstein.“ Seine Darstellung macht in nun zum „Tänzer des Jahres“.

In der Kategorie „Produktion des Jahres“ hat das in London uraufgeführte „Until the Lions“ von Akram Khan die häufigsten Nennungen auf seiner Seite. Das Stück ist eine stark verknappte Tanzversion des indischen Epos „Mahabharata“, das von Liebe, Tod, Verzicht und Rache erzählt.

Lorbeeren für Münchens Ex-Direktor Ivan Liška

Dass der Titel „Kompanie des Jahres“ ans Bayerische Staatsballett geht, dürfte die aktuelle Intendanz in München nicht unbedingt freuen. Denn die Lorbeeren gelten ausdrücklich der letzten Spielzeit des scheidenden Direktors Ivan Liška samt Team, während die massiven Veränderungen durch den Nachfolger Igor Zalensky unter dem Stichwort Ärgernis verbucht werden. Dass Liška zeigte, dass ein Stück von Pina Bausch an der Isar ganz ohne Protagonisten aus Wuppertal überzeugte, lässt die Kritiker staunen.

Auch wenn es nicht zu einer Auszeichnung reichte: Anerkennung strich auch der am Stuttgarter Theaterhaus tätige Eric Gauthier ein. Auf Grund seiner gelungenen „Colours“-Festival-Premiere am Pragsattel zählt der Kanadier zu den Hoffnungsträgern. Auch der Stuttgarter Hauschoreograf Marco Goecke, unter anderem für „Nijinski“ für Gauthier Dance, war einigen Tanzexperten eine Erwähnung wert. Ohne Nennung in der Umfrage, aber dennoch gewürdigt wird zudem der ehemalige Solist des Stuttgarter Balletts Thomas Lempertz, der mittlerweile als Kostümbildner von sich reden macht. Auch sein Lebenspartner Friedemann Vogel blieb nicht ungenannt. Der Erste Solist, sein Kollege Constantine Allen und der von Stuttgart nach Amsterdam gewechselte Daniel Camargo wurden als Tänzer des Jahres vorgeschlagen.