Das Seniorenzentrum Am Birkenwald: Gegen die Hausärztin eines Heimbewohners Bewohners liegt eine Anzeige vor. Foto: Eva Funke

Einem Sterbenden in Stuttgart-Nord soll schmerzlinderndes Morphium verweigert worden sein. Der Staatsanwalt ermittelt.

Stuttgart - Das sei furchtbar! Die Reaktion von Renate Krausnick-Horst, Vorsitzende des Stadtseniorenrats Stuttgarts ist eindeutig. Sterben zu müssen sei schwer. Einen Menschen unter Schmerzen sterben zu lassen, unentschuldbar. Doch genau das soll im Seniorenzentrum Am Birkenwald, einem Pflegeheim des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB), passiert sein. Deshalb hat ein Architekt aus Heumaden Anzeige gegen eine Stuttgarter Ärztin wegen unterlassener Hilfeleistung erstattet.

Der 50-Jährige Architekt ist drei Monate nach dem Tod des Bewohners noch immer erschüttert: Vor drei Jahren ist der Pflegeheimbewohner, ein guter Freund der Familie des Architekten, in das Haus am Birkenwald gezogen. Im Januar soll laut des Architekten dessen Sterbephase begonnen haben. Etwa eine Woche vor dem Tod des 86-Jährigen am Samstag, den 4. Februar, soll er sehr starke Schmerzen bekommen haben. „Als ich ihn am Sonntag vor seinem Ableben besuchte, hat er nur noch gestöhnt“, so der 50-Jährige.

Schließlich den Notarzt gerufen

Am darauffolgenden Montag hat der Architekt nach eigener Auskunft die Hausärztin des Freundes angerufen und gebeten, dem Patienten schmerzlinderndes Morphium zu verschreiben. Obwohl der Heumadener im Besitz einer Generalvollmacht des Sterbenden war und damit auch über medizinische Maßnahmen entscheiden konnte, habe die Ärztin die Verschreibung von Morphium abgelehnt. Der Architekt: „Sie sagte: ‚Die Sterbephase muss der Patient alleine durchstehen. Reißen Sie sich zusammen.‘ Dann legte sie auf.“

Am Dienstag war der Heumadener zusammen mit seiner Tante bei einem seiner letzten Besuche im Heim. „Da hat unser Freund so laut geschrien, dass wir die Schreie schon auf dem Flur gehört haben“, erinnert er sich. Nach anfänglicher Hilflosigkeit in der die beiden Besucher auch keine Unterstützung von den Pflegekräften oder der Heimleitung bekommen hätten, haben sie den Notdienst alarmiert. „Der hat ihm dann das schmerzlindernde Morphium gespritzt“, sagt der 50-Jährige. Das bekam der Sterbende dann auch noch die wenigen Tage bis zu seinem Tod. Seine letzten Tage habe ihr Freund dann friedlich und schmerzfrei verbracht. „Die Schmerzen hätte man ihm aber sehr viel früher nehmen können und müssen“, ist der Architekt überzeugt. Die Hausärztin weist die Vorwürfe zurück: „Der Mann hatte keine Schmerzen, sondern einen dementen Schub. Er war verwirrt. Auf Grund eines Anrufs verschreibe ich kein Morphium, und ich betreibe keine Euthanasie“, stellte sie auf Anfrage unserer Zeitung fest und überlegt nun selbst, einen Anwalt einzuschalten.

Dr. Suso Lederle, praktischer Arzt in Stuttgart, beurteilt ein Verhalten, wie es der Hausärztin des Verstorbenen vorgeworfen wird, nicht nur als „töricht“, sondern als „Fehler“. „Als Mediziner bin ich dazu verpflichtet, entsprechend meiner Kenntnisse eine Schmerzarmut herzustellen. Und zwar in jeder Phase des Lebens. Kann ich das nicht, muss ich Spezialisten hinzuziehen“, stellt er fest und sagt: „Das ganze hat nicht nur eine moralische, sondern auch eine juristische Seite“.

Kritik des Heumadeners trifft auch das Pflegeheim

Lars-Ejnar Sterley, Stuttgarter Geschäftsführer und Landesgeschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bunds bestätigt, dass die betreffende Ärztin „nicht gern Morphium gibt“ und Schmerzpflaster und Tropfen gegen die Schmerzen zum Einsatz kamen. Auch als der Psychiater des Patienten am Montag vor dessen Tod Rücksprache mit der Hausärztin genommen habe, habe sie sich geweigert, Morphium zu geben. Das habe in den letzten Tagen vor dem Tod des Bewohners das Palliativ-Care-Team übernommen.

Dass der Architekt Anzeige gestellt hat, bestätigt Pressestaatsanwalt Jan Holzner: „Wir ermitteln in dem Fall.“ Auch am Seniorenzentrum Am Birkenwald übt der Architekt Kritik : „Wir waren doch völlig hilflos. Die Mitarbeiter hätten handeln müssen.“ Anzeige hat er jedoch nicht erstattet. Und Sterley versichert, dass der Heimleitung die Hände gebunden waren: „Der Bekannte hätte auf Grundlage seiner Generalvollmacht einen anderen Arzt hinzuziehen können. Wir dürfen das nicht.“

Vorwürfe über das Haus am Birkenwald gehen beim Stadtseniorenrat immer wieder ein. Ohne diese benennen zu wollen, bestätigt die Vorsitzende Renate Krausnick-Horst, dass über das Heim mehr Beschwerden als über andere Stuttgarter Heime gibt. Erst im vergangen Jahr ermittelte die Staatsanwalt wegen Gewalt in dem Pflegeheim. Die Ermittlungen wurden eingestellt. „Seither haben wir einiges gemacht wie Mitarbeitergespräche über Ursachen von Stress und Belastungen geführt und Strukturen verbessert“, versichert Sterley.