Die Luft ist momentan raus aus der SPD. Den Vorsitzenden Martin Schulz jedoch macht an der Basis kaum jemand verantwortlich für das Wahldesaster. Foto: dpa

Nach dem Wahldesaster scheint SPD-Chef Martin Schulz angezählt zu sein. Offene Rücktrittsforderungen würden aber nicht helfen – einen besseren Vorsitzenden, um die Partei zu stabilisieren, hat sie gerade nicht zu bieten, meint Matthias Schiermeyer.

Stuttgart - Die SPD ist am Boden, nun soll ihr Chef die Konsequenz daraus ziehen und gehen. Bisher fordert dies allerdings niemand offen in der Partei, und daran wird sich bis zu den Niedersachsen-Wahlen auch nichts ändern. Geht diese jedoch, wie man erwarten muss, auch in die Binsen für die Genossen, dann dürfte die mediale Spekulation – um die es sich bisher handelt – einen Widerhall finden. Ist Schulz somit ein Vorsitzender auf Abruf? Ganz unschuldig ist er an der prekären Lage nicht – immerhin hat er nach eigenem Bekenntnis am Wahlabend selbst über einen Rücktritt nachgedacht.

Fehler anderer für die Misere verantwortlich gemacht

Zudem wird nun über eine außergewöhnliche „Spiegel“-Reportage diskutiert. Schulz hatte dem Magazin im Wahlkampf über Monate exklusive Einblicke gewährt, um in Zeiten wachsender Politikverdrossenheit mehr Transparenz sowie mehr Nähe zum politischen Spitzenpersonal mit all seinen Stärken und Schwächen zuzulassen. Sein Beraterumfeld soll das Projekt als zu riskant abgelehnt haben, er selbst hat sich letztendlich dafür entschieden und durchgesetzt. In der Reportage wird sichtbar, wie wenig professionell die Wahlkampagne mitunter betrieben wurde im Vergleich mit dem Kanzleramt und wie viele Selbstzweifel Schulz in den vergangenen Monaten bekam. An Durchsetzungsstärke hat er es mangeln lassen. Häufig sind es auch Fehler anderer, die er für seine Misere verantwortlich machte – eine Sichtweise, die auch in seinem Brief an die Mitglieder von Ende voriger Woche wieder auftauchte.

Schulz könnte die SPD stabilisieren

Die Aneinanderkettung zahlreicher Fehler vielerorten wird in der SPD-Führung aufzuarbeiten sein. Aber ist es berechtigt, Schulz von außen für ein Reportage-Projekt zu kritisieren, das wohl alle Medien gerne umgesetzt und auch gerechtfertigt hätten, wenn sie denn die Chance dazu erhalten hätten? Kaum. Schulz ist auf dem Sonderparteitag in Dortmund mit 100 Prozent der Stimmen zum Parteichef gewählt worden. Dies wird – von wenigen Spitzenkräften aus früheren Zeiten abgesehen – in der Partei ungeachtet aller Wahlkampfshow auch als Verpflichtung angesehen, jetzt nicht von ihm abzurücken. Und anerkannt wird, dass er mit aller Kraft gegen die Niederlage angekämpft hat. Einen besseren Vorsitzenden hat die SPD im momentanen Schockzustand nicht zu bieten. Schulz könnte sie stabilisieren und aus ihrem tiefen Tal führen, um dann einen grundlegenden Erneuerungsprozess anzustoßen. Wer diesen dann vollendet, steht auf einem anderen Blatt.

Parteivize Manuela Schwesig hat gerade erst offen die Frage verneint, ob sie den Vorsitz übernehmen wolle – gut so. Das Gute an der Situation ist, dass die Partei erst mal Zeit hat, sich zu finden. Um eines geht es derzeit ganz gewiss nicht: um die Kanzlerkandidatur im Jahr 2021. Darüber sollte kein Sozialdemokrat auch nur im Traum nachdenken. Die Partei hat grundlegendere Sorgen als das nächste Bundestagswahljahr.