Daimler beschäftigt in der Türkei rund 6000 Mitarbeiter. Foto: Daimler AG

Experten befürchten Verzögerungen in der Produktion und eine sinkende Bereitschaft zu investieren.

Stuttgart - Die Unternehmen aus Baden-Württemberg beobachten das angespannte Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei zunehmend mit Sorge. Manche Firmenvertreter äußern in einer Umfrage unserer Zeitung die Befürchtung, dass die politischen Spannungen mittelfristig ihr Türkeigeschäft beeinträchtigen. Bei einigen gelten verschärfte Genehmigungsregeln für Dienstreisen. Die Unternehmen wollen aber an ihren Türkeistandorten festhalten.

„Wir erleben einen Tiefpunkt in den deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen“, sagte Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD). „Wenn unbescholtene deutsche Unternehmen plötzlich auf schwarzen Listen auftauchen und als Terrorunterstützer gebrandmarkt werden, dann ist das ein Klima, das weitere Geschäfte und Investitionen in der Türkei äußerst schwierig macht“, so die Politikerin. Offenbar führt die Türkei eine Liste, auf der Hunderte deutsche Unternehmen aufgeführt werden, die verdächtigt werden, terroristische Organisationen zu unterstützen. Der türkische Wirtschaftsminister bestreitet dies.

Auch Daimler befindet sich offenbar auf der Liste. Der Stuttgarter Autobauer beschäftigt in Istanbul und Aksaray rund 6000 Mitarbeiter. Derzeit sieht das Unternehmen keine Veranlassung, seine Türkeistrategie zu ändern. „Daimler ist als Arbeitgeber und Exporteur fester Bestandteil der türkischen Öffentlichkeit“, sagte ein Sprecher unserer Zeitung. „Unsere Produktions- und Vertriebsaktivitäten in der Türkei laufen normal.“ Der Konzern behalte aber die aktuelle Situation im Blick.

Verschärfte Reisehinweise

Das bezieht sich auch auf die Entwicklungen bei Reisehinweisenund Investitionsabsicherungen. Als Reaktion auf die Verhaftung des Menschenrechtlers Peter Steudtner und anderer Deutscher hatte das Auswärtige Amt am Donnerstag die Reisehinweise für die Türkei verschärft. Zusätzlich kündigte Außenminister Sigmar Gabriel an, dass die staatliche Absicherung von Türkeigeschäften der deutschen Wirtschaft durch sogenannte Hermesbürgschaften auf den Prüfstand gestellt wird.

Das könnte die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen empfindlich treffen. Deutschland ist für die Türkei der wichtigste Handelspartner. Ein Viertel des Warenaustauschs der Türkei mit der EU wird mit Deutschland realisiert, teilt das Wirtschaftsministerium mit. 2016 betrug das deutsch-türkische Handelsvolumen demnach rund 37 Milliarden Euro. Auch in Bezug auf die Investitionen sei Deutschland mit über zwölf Milliarden Euro der wichtigste Wirtschaftspartner der Türkei. Ungefähr 6000 deutsche Unternehmen betreiben Standorte dort. Darunter befinden sich auch viele Firmen aus Baden-Württemberg.

Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart unterhalten über 1200 baden-württembergische Unternehmen Geschäftsbeziehungen mit der Türkei. Jedes große Unternehmen betreibt einen Standort dort. „Wir sind nicht erst seit den jüngsten Ereignissen sehr wachsam, was die politische Situation in der Türkei anbelangt“, sagte ein Sprecher des Ditzinger Werkzeugmaschinenbauers Trumpf. „Wenn sich die Entwicklungen in der Türkei fortsetzen, erwarten wir mittelfristig negative Auswirkungen auf unser Geschäft“, so der Sprecher. Im Moment schlagen sich politischen Auseinandersetzungen aber nicht in den Zahlen nieder.

Veränderte Politik gegenüber neuen Rüstungsprojekten

Auch die Mitarbeiter des Autozulieferers ZF befinden sich seit einiger Zeit in Habtachtstellung. „Dienstreisen unterliegen schon seit den vermehrten politischen Unruhen verschärften Genehmigungsregeln“, sagte ein Unternehmenssprecher. „Sie dürfen nur bei Genehmigung durch den obersten Führungskreis von ZF angetreten werden.“ Es dürften nur solche Reisen angetreten werden, die als unabdingbar gelten. „Im Falle einer Dienstreise sollen sich Mitarbeiter in die Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amts eintragen.“

Dass die Bundesregierung auch ihre Politik gegenüber neuen Rüstungsprojekten mit der Türkei geändert hat, schreckt das Unternehmen weniger auf. „Die Verteidigungstechnik macht bei ZF nur rund 0,5 Prozent vom Gesamtumsatz aus“, erklärt ein Sprecher. Unabhängig davon sei der bürokratische Aufwand für Export immer hoch. „Aber die Bestimmungen und die genaue Dokumentationspflichten bestehen ja nicht ohne Grund“, so der Sprecher.

Grundsätzlich sei die Türkei für die Firmen aus Baden-Württemberg ein wichtiger Handelspartner, sagte Bernd Engelhardt, der stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. Im vergangenen Jahr haben die Firmen aus dem Land 2,94 Milliarden Euro in die Türkei exportiert. Die Importe beliefen sich auf 2,73 Milliarden Euro. „Die aktuelle Situation in der Türkei führt zu weiteren Unsicherheiten – etwa durch eine mögliche Aussetzung von Hermesdeckungen“, so Engelhardt. So könnte seiner Ansicht nach die Bereitschaft der Betriebe weiter sinken, sich im türkischen Markt zu engagieren oder dort zu investieren. Auch könnte es schwieriger werden, Mitarbeiter in die Türkei zu entsenden. „Gerade bei Wartungs- und Montagearbeiten könnten Verzögerungen in der Produktion entstehen.“

Firmen halten an Türkeistandorten fest

Nichtsdestoweniger wollen die Unternehmen aus dem Land an ihren Türkeistandorten festhalten. „Wir nehmen die Situation in der Türkei sehr ernst, besonders die Reisehinweise des Auswärtigen Amts. Momentan können wir jedoch keine relevanten Implikationen auf unser Geschäft feststellen“, sagt etwa eine Sprecherin des Metzinger Modeherstellers Hugo Boss, der in der Türkei eine Produktion betreibt.

Auch der Energiekonzern EnBW hält an seinem Türkeigeschäft fest. „Natürlich ist die Situation heute eine andere als zu Beginn unserer Aktivitäten in der Türkei vor acht Jahren“, sagt eine Sprecherin des Konzerns. Die Potenziale bei den erneuerbaren Energien seien aber unverändert groß. Die EnBW hat in der Türkei derzeit rund 400 Megawatt in Betrieb, mit rund 340 Megawatt hat die Windkraft den größten Anteil. Die EnBW betreibt die Anlagen mit dem Joint-Venture-Partner Borusan. Die Zahl der von der EnBW entsandten Mitarbeitern ist gering und liegt derzeit bei fünf Beschäftigten, die in Istanbul tätig sind.

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