VfB-Coach Aloexander Zorniger: es wird eng Foto: Getty

VfB-Coach Alexander Zorniger braucht nach dem 0:4-Debakel gegen den FC Augsburg dringend einen Plan B im Spiel bei Borussia Dortmund. Noch so ein Debakel sollte er mit seiner Mannschaft nicht abliefern, schreibt StN-Sportchef Gunter Barner.

Stuttgart - Es wäre vermessen zu behaupten, dass Gerhard Mayer-Vorfelder während seiner 25 Jahre an der VfB-Spitze ähnlich überlegen agierte wie sein großes Vorbild: Friedrich der Große. Es gab tolle Siege und herbe Niederlagen. Zweifel und Zuversicht. Schlimme und schöne Zeiten. Aber wie beim Alten Fritz blieb immer das beruhigende Gefühl, dass es da jemanden gab, der im Pulverdampf der Gefechte den Blick für die richtige Richtung behielt. Weshalb ein kleines bisschen mehr MV in diesen Tagen nicht schaden könnte, da sich vom VfB selbst jene mit bleichen Gesichtern abwenden, die bisher wenig Anlass gaben, an ihrer weiß-roten Gesinnung zu zweifeln.

Vielleicht hätte Gerhard Mayer-Vorfelder nach dem 0:4 gegen den FC Augsburg die Versager in ein Zimmer gesperrt, den Schlüssel eingesteckt und geknurrt: „Ihr kommt da erst wieder raus, wenn ihr eine Mannschaft seid und kein Sauhaufen.“ Und vermutlich hätte er seinem bocksbeinigen Trainer Alexander Zorniger auseinandergesetzt, dass der Absolutismus in Württemberg nur noch im Geschichtsbuch seine Berechtigung findet. Dass sich Selbstvertrauen nicht aus Wortgewalt, sondern aus Leistung und Können speist. Und dass er einen Trainer nicht dafür bezahlt, seine Überzeugungen wortreich auszubreiten, sondern dafür, dass seine Spieler öfter ins Tor des Gegners als ins eigene treffen.

MV hätte Zorniger längst entlassen

Und wenn nicht alles täuscht, hätte er seinem Coach auch noch die Begründung mit geliefert, warum seine Helden neuerdings laufen, als hätten sie einen Backstein in der Hose: „Die brechen unter dem ideologischen Ballast zusammen.“ Am wahrscheinlichsten aber ist: MV hätte Zorniger längst ein Köfferchen mit der Abfindung in die Hand gedrückt und unter dem Ausdruck tiefsten Bedauerns den Alten Fritz zitiert: „Ein General braucht Fortüne.“

Weil es auf Dauer aber keine Lösung und auch ziemlich teuer ist, während Krisenzeiten fast so viele Trainer zu beschäftigen wie Spieler, haben die VfB-Bosse in der T-Frage die Kontinuität zum Postulat erhoben – mit dem alles verändernden Alexander Zorniger als Speerspitze auf dem Vorstoß in eine neue Zeit. Was dazu führte, dass der VfB zwar ein paar Mal offensiv sehr sehenswert agierte, in der Defensive aber noch häufig in jene Fallen tappte, die ihm der Gegner ausgelegt hatte. Das Spektakel nährte zwar die Hoffnung der Fans und trug dem VfB manch zweifelhaftes Lob seiner Kontrahenten ein, vernachlässigte aber das eigentliche Ziel des Unternehmens: Punkte einzufahren.

So sehr sich der Coach nach dem 1:4-Debakel gegen Eintracht Frankfurt auch um die Balance zwischen Angriff und Abwehr bemühte, neun von dreizehn Spielen gingen bisher verloren. Und wenn der VfB dennoch als Sieger den Platz verließ, dann mit dem mulmigen Gefühl, dass mal der Schiedsrichter, mal der Dusel erheblich mitgeholfen hatten.

Die Zweifel als ständiger Begleiter

Die Skepsis war berechtigt. Selbst den unerschütterlichen Jüngern des Fußball-Predigers Zorniger müsste nach der desaströsen Darbietung beim 0:4 gegen den Tabellenletzten aus Augsburg dämmern: Noch so einen unterirdischen Kick sollte er mit seiner Mannschaft besser nicht abliefern. Denn es zählt nun mal zu den heiligsten Pflichten eines Trainers, eine Elf ins Spiel zu schicken, die bereit ist, ihr Bestes zu geben. Schon jetzt ist aber nur noch mit viel gutem Willen die Annahme realistisch, dass Spieler unverändert an den Lippen eines Trainers hängen, dessen größte Konstante seit Saisonbeginn der Misserfolg ist. Die Zweifel sind sein ständiger Begleiter. So betrachtet hört sich nach blanker Ironie an, was der Trainer nach dem größten anzunehmenden Unfall gegen das Tabellenschlusslicht an Selbsterkenntnis beizusteuern hatte: „Ich muss etwas Entscheidendes übersehen haben.“

Das ist auch deshalb bedauerlich, weil so die Krise das wichtigste Markenzeichen des VfB Stuttgart bleibt. Und weil sich wieder einmal zeigt, dass es klug ist, die eigene Geschichte im Kopf zu behalten, wenn es Entscheidungen zu treffen gilt, die wesentlichen Einfluss auf Gegenwart und Zukunft nehmen.

Zorniger braucht einen zweiten Plan

Es war schon immer ein Risiko, wenn der VfB, auch unter der Regie von MV, seine Geschicke ein wenig blauäugig in die Hand eines Trainers legte, der seine eine und einzige Idee als der Weisheit letzter Schluss definierte. „Ich kann nur so“, sagt Zorniger und reiht sich damit womöglich ein in die VfB-Ahnentafel der Gescheiterten, die mit Plan A gegen die Wand steuerten und nicht imstande waren, einen Plan B zu entwickeln. „Ohne einen zweiten Plan“, sagt Ex-VfB-Stürmer Dieter Hoeneß, „bekommt jeder Trainer in der Bundesliga über kurz oder lang Probleme.“

Bayern-Import Egon Coordes wäre da aus der Historie zu nennen, der sich in seiner Verbohrtheit am Ende mit einzelnen Spielern, den Medien und sogar den Fans anlegte. Oder der Schweizer 4-4-2-Spezialist Rolf Fringer, der die Mannschaft verlor, als er nach den ersten Misserfolgen „mehr Häuptlinge und weniger Indianer“ forderte. Jürgen Röber bevorzugte den Libero vor der Abwehr, was eine nette Idee war, der Defensive aber Löcher bescherte, die so groß waren wie der Bärensee. Und als er darüber so gar nicht mit sich reden lassen wollte, herrschte ihn Thomas Berthold an: „Sind Sie hier der Weltmeister oder ich?“

Ralf Rangnick verlor auch deshalb seinen Job, weil seine Autorität im ideologischen Zwist mit dem „echten Zehner“ Krassimir Balakov gelitten hatte. Giovanni Trapattoni dagegen lehrte die defensiven Künste so intensiv, dass es VfB-Stürmer kaum mehr wagten, die Mittellinie zu überschreiten. Sie alle waren Anhänger der reinen Lehre und nicht im geringsten bereit, ihre Pläne an die Qualitäten und Mentalitäten der Spieler anzupassen.

Schwächen im Personaltableau

Helfen kann in solchen Fällen eine Mannschaft, deren individuelle Qualitäten und gruppendynamische Kräfte reichen, um ihr Spiel selbst zu regulieren. „Bei einer 3:1-Führung wäre ich nicht mehr über die Mittellinie gegangen. Ganz egal, was der Trainer will“, sagte Ex-Nationalspieler Didi Hamann nach dem 3:4 bei Bayer Leverkusen. Doch dazu braucht es Klasse, Erfahrung und mentale Stärke. Werte, die im Personaltableau des VfB Stuttgart seit der Meisterschaft 2007 sträflich vernachlässigt wurden. So stolpert der Club von Krise zu Krise. Spieler, die an den Neckar wechseln, fangen häufig stark, um nach kurzer Zeit stark abzubauen. Weil nicht gut genug eingekauft wurde? Weil Geld in der Kasse fehlt? Weil das Leistungsprinzip noch immer nicht über allem steht? Weil die Vorbilder fehlen? Weil die Charaktere in der Truppe nicht stimmen? Von allem wohl ein wenig.

Erinnerungen an Meira, Bordon, Pardo, Soldo oder Balakov treiben der weiß-roten Leidensgemeinschaft jedenfalls die Tränen in die Augen. Aber Fußball-Romantik hilft jetzt nicht mehr weiter. „Der Trainer muss das hinkriegen“, hätte MV gesagt. Den Rest konnte sich jeder denken.