Taschendiebe auf dem Vormarsch: In Stuttgart gab es letztes Jahr 1600 Fälle. Foto: fotolia

Stuttgart gehört zu den sichersten Großstädten Deutschlands. Die Gewalt nimmt ab, es werden weniger Jugendliche straffällig. Aber: Langfinger und Einbrecher haben Hochkonjunktur. Taschendiebe haben so oft zugeschlagen wie seit 20 Jahren nicht mehr.

Stuttgart gehört zu den sichersten Großstädten Deutschlands. Die Gewalt nimmt ab, es werden weniger Jugendliche straffällig. Aber: Langfinger und Einbrecher haben Hochkonjunktur. Taschendiebe haben so oft zugeschlagen wie seit 20 Jahren nicht mehr.

Stuttgart - Unterm Strich sieht Polizeipräsident Franz Lutz die Lage positiv: „Stuttgart ist im Vergleich zu anderen Großstädten ein sicheres Pflaster“, sagte er am Donnerstag bei der Vorstellung der Kriminalstatistik 2013. Im Landesvergleich liegt Stuttgart bei der Kriminalitätsbelastung sogar hinter Freiburg, Mannheim und Karlsruhe. 58 325 Straftaten sind ein leichter Rückgang, ganz gegen den Landestrend. Doch Statistik ist das eine. Beim Blick auf den alarmierenden Zuwachs von Taschendiebstählen und Wohnungseinbrüchen sagt Lutz: „Es gibt da nichts schönzureden.“ Auf 16,2 Millionen Euro summiert sich der Schaden durch Diebstahl und Einbruch in Stuttgart.

Täuscher und Tänzer

Die 75-jährige Passantin in Zuffenhausen hat keine Chance. Ein dunkler Kleinwagen fährt vor, eine südosteuropäisch wirkende Frau fragt nach dem Weg zum Krankenhaus. Dann geht alles sehr schnell. Die Frau steigt aus, hängt der Passantin angeblich aus Dank eine Halskette um. Dann fehlt der Schmuck der 75-Jährigen. Ebenfalls in Zuffenhausen: „Können Sie mir die Zwei-Euro-Münze wechseln?“ Ein 67-jähriger Fußgänger zückt seinen Geldbeutel – und merkt nicht, wie der Trickdieb die Scheine verschwinden lässt. Am S-Bahn-Halt Stadtmitte gerät frühmorgens ein 31-jähriger Nachtschwärmer, der alkoholisiert auf einer Bank schläft, ins Visier eines Langfingers. Der erbeutet das Handy. In einem Tanzlokal am Charlottenplatz in der Innenstadt gibt es für eine Discobesucherin wenig zu feiern – ihre Geldbörse ist weg. Zuvor hatte sie in nordafrikanischer Typ angetanzt.

Über 1600 Taschendiebstähle hat es 2013 in Stuttgart gegeben. Das ist eine Steigerung um 40 Prozent – und es ist der höchste Wert seit 20 Jahren. Nur 1992 und 1993, als es mit über 70 000 Straftaten die höchste Kriminalität aller Zeiten gab, hatten Taschendiebe öfter zugeschlagen – es gab 2000 beziehungsweise 1700 Fälle. Die Taschendiebe erbeuteten 2013 über eine halbe Million Euro.

Banden und Betrüger

„Eine bandenmäßige Begehensweise“ stellt Polizeipräsident Lutz bei den Trickdieben fest. Die Aufklärungsquoten sind gering, nämlich 2,9 Prozent, doch vereinzelte Festnahmen zeigen: Tatverdächtige Langfinger in Discos sind zumeist nordafrikanischer Herkunft. Die Blender mit dem Billigschmuck, die auch als taubstumme Spendensammler auftreten, sind oft Reisende aus Osteuropa.

Weitaus perfider ist der Enkeltrick, der auch nach 15 Jahren immer noch funktioniert. „Im vergangenen Jahr haben wir wieder 70 Fälle registriert“, sagt Kripochef Rüdiger Winter. Eine 88-Jährige aus Botnang wäre fast das nächste Opfer geworden. Sie wollte schon 63 000 Euro für den angeblichen Enkel, der telefonisch um Hilfe gebeten hatte, bei der Bank abheben. Dank einer aufmerksamen Angestellten konnte die Polizei den Kurier festnehmen. Ein 15-jähriger Angehöriger einer polizeibekannten Großfamilie einer ethnischen Minderheit mit Sitz in Polen. „Den Banken“, sagt Winter, „kommt beim Erkennen solcher Taten eine zentrale Funktion zu.“

Biegen und Brechen

1025 Wohnungseinbrüche sind der höchste Stand in zehn Jahren. Die Aufklärungsquote ist mit 11,4 Prozent bescheiden – aber Vize-Präsident Norbert Walz sieht die Polizei mit zentralen Ermittlungen auf dem richtigen Weg: Man habe 90 Verdächtige festnehmen können, 70 Spuren mit genetischen Fingerabdrücken hätten bei der Aufklärung geholfen. Jüngste Ermittlungserfolge seien in der Statistik noch gar nicht eingerechnet. Einbruchschutz sei wirksam, so Walz: „40 Prozent der Taten bleiben im Versuch stecken.“

Die Stuttgarter werden da unterschiedlich empfinden. Nach Stadtteilen betrachtet sind Bad Cannstatt, der Stuttgarter Süden und Westen die Brennpunkte. Allerdings haben sich in Möhringen, Mühlhausen und Zuffenhausen die Fälle mehr als verdoppelt. Schaden durch Wohnungseinbrecher insgesamt: 4,8 Millionen Euro.

Festnahmen der letzten Tage zeigen einen neuen Trend: Die Einbrecher stammen vor allem aus Georgien. In den Stadtteilen Sommerrain, Weilimdorf, Botnang, Sillenbuch und Wangen wurden in den letzten Wochen ein Dutzend Verdächtige im Alter zwischen 21 und 28 Jahren gefasst. Der letzte Erfolg datiert vom 24. März. „Die Ermittlungen über die Hintermänner und Strukturen dauern an“, sagt Kripochef Winter.

Verraten und verkauft

Man muss aber nicht mal das Haus verlassen, um Opfer zu werden. Auch Computer und Telefon sind ein Einfallstor für Betrüger. Da wird eine 59-jährige Stuttgarterin monatelang von angeblichen Mahngerichten und Anwälten telefonisch terrorisiert, weil sie angeblich Gebühren für ein Gewinnspiel nicht überwiesen habe. Dabei lassen die Täter auf der Anzeige des Telefons sogar eine tatsächlich existierende Nummer des Amtsgerichts erscheinen. Die Opfer werden gedrängt, für angebliche Gewinne mehrere Tausend Euro an ein Geldinstitut in der Türkei zu transferieren. Andere Täter fischen Kontodaten übers Internet ab und plündern so die Konten.

Beim Thema virtuelle Kriminalität zeigt sich freilich die Schwäche der Polizeistatistik: „Wenn die Täter vom Ausland aus agieren oder die Zentralrechner in USA oder Russland stehen, taucht das nicht in der Statistik auf“, räumt Polizeistatistiker Christof Glos ein. Die betrügerischen Telefonzentralen in der Türkei, die Opfer in Stuttgart abzocken – kein Fall für die Statistik. „Hier sind weniger als zehn Prozent der Fälle erfasst“, so Glos. 220 registrierte Straftaten der Internetkriminalität sind nicht mal die halbe Wahrheit: Das zuständige Dezernat hat über 1200 Anzeigen auf dem Tisch.

Straftäter und Steckbriefe

25 820 Verdächtige hat die Polizei dingfest gemacht. Gut 55 Prozent der Beschuldigten wohnen selbst in Stuttgart. Jeder fünfte erwischte Tatverdächtige war alkoholisiert. Die Zahl der Jugendlichen ist mit 2500 rückläufig. Überhaupt ist der Anteil der unter 21-Jährigen mit 23,8 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren. Der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen liegt bei 40,3 Prozent. Besonders auffällig: Die Zahl der Beschuldigten mit rumänischer Staatszugehörigkeit steigt stetig. Vor allem durch reisende Täter steht Rumänien inzwischen auf Platz zwei der ausländischen Täter, hinter Beschuldigten mit türkischem Pass. Hauptdelikt, so die Polizei: Diebstahl.