Drogenboss Joaquín „El Chapo“ Guzmán Foto: Prensa Internacional via ZUMA

Während Drogenboss Joaquín „El Chapo“ Guzmán in New York vor Gericht steht, scheint an seiner einstigen Wirkungsstätte ein blutiger Verteilungskampf ausgebrochen zu sein. In Sinaloa werden Erinnerungen an einen alten Bandenkrieg wach.

Mexiko-Stadt - Glaubt man dem Inhalt des Briefes, verheißt er nichts Gutes. Denn in dem Text, der mexikanischen Medien zugespielt wurde, behaupten zwei Söhne des in den USA inhaftierten Drogenbosses Joaquín „El Chapo“ Guzmán, sie seien jüngst im Nordwesten Mexikos in einen Hinterhalt gelockt und bei dem anschließenden Angriff verletzt worden.

Für die Tat verantwortlich machten Jesús Alfredo und Iván Archivaldo Guzmán allerdings nicht rivalisierende Drogenbanden oder etwa die Staatsmacht, sondern: Mitglieder ihrer eigenen Gruppe, des mächtigen Sinaloa-Kartells. Kommt es gerade zu blutigen Umwälzungen in der mexikanischen Unterwelt?

Tatsächlich spitzt sich der Drogenkrieg in dem Land seit Wochen wieder zu. Zu Beginn des Jahres gab es ein Blutbad mit vier Toten in dem eigentlich als ruhig geltenden Karibik-Badeort Cancún; in den vergangenen Tagen starben nun mindestens 16 Menschen bei Gefechten zwischen Soldaten und Bandenmitgliedern im Westen des Landes. An letzteren soll das Verbrechersyndikat Beltrán Leyva, das sich vor Jahren aus dem Sinaloa-Kartell abgespalten hat, beteiligt gewesen sein. Die Gruppe ist in Drogenhandel, Erpressungen und Entführungen verwickelt.

Erbitterter Krieg um die Machtverteilung in den Kartellen

Vor allem aber im nordwestlichen Bundesstaat Sinaloa tobt laut Medienberichten ein erbitterter Krieg. In der Hochburg des von „El Chapo“ gegründeten Sinaloa-Kartells kamen seit Jahresbeginn rund 140 Menschen ums Leben, wie die Zeitung „La Jornada“ unter Berufung auf Regierungskreise berichtete - eine Folge von Guzmáns Festnahme und Auslieferung an die USA, so das Blatt.

Während sich der entmachtete „El Chapo“ (der Kurze) vor einem New Yorker Gericht verantworten muss, ist demnach ein blutiger Kampf um sein Erbe ausgebrochen. Bereits nach Guzmáns Auslieferung hatten Beobachter vor Verteilungskämpfen in Mexiko gewarnt - sowohl innerhalb des Sinaloa-Kartells als auch zwischen verschiedenen Drogenbanden.

Die kriminelle Laufbahn Guzmáns sei beendet, nicht aber die seiner Organisation, sagte die Expertin Anabel Hernández der Deutschen Presse-Agentur. „Es gibt Hunderte von neuen Drogenbossen“, glaubt die Autorin eines Buches über Mexikos kriminellen Untergrund.

Hauptkontrahenten bei der Fehde innerhalb des Sinaloa-Kartells sollen eine Gruppe um Guzmáns Söhne und eine vom früheren „Chapo“-Vertrauten Dámaso López Núñez („El Licenciado“) angeführte Fraktion sein. Ein weiteres, mächtiges Sinaloa-Mitglied, Guzmáns langjähriger Stellvertreter Ismael „El Mayo“ Zambada, soll zuletzt versucht haben, zwischen den Streithähnen zu vermitteln.

Gewaltwelle erinnert an 2008

Laut dem vermeintlichen Brief der beiden Guzmán-Söhne war Zambada mit ihnen zu dem Treffen erschienen, als die López-Männer das Feuer eröffneten. Alle drei überlebten demnach den Angriff. Die Echtheit des Briefes war zunächst unklar.

Angesichts der Gewaltwelle in Sinaloa fühlten sich viele schon an 2008 erinnert, als es zum Bruch zwischen dem Sinaloa-Kartell und der Beltrán Leyva-Organisation kam. Bei den monatelangen, blutigen Kämpfen wurden landesweit Hunderte Menschen getötet, darunter viele Polizisten, die im Dienste von „El Chapo“ vermutet wurden.

Die vermeintliche Schwäche des Sinaloa-Kartells weckt nun anscheinend wieder Begehrlichkeiten bei der Konkurrenz. Neben der Beltrán Leyva-Gruppe soll auch die kriminelle Organisation Jalisco Nueva Generación derzeit versuchen, im Drogengeschäft Boden gut zu machen. Auch im Badeort Acapulco an der Pazifikküste kam es zuletzt zu heftigen Revierkämpfen.