Soldaten der Regierungstruppen rüsten sich für den Kampf in der Ostukraine. Foto: EPA

Hundertausende Zivilisten leiden immer noch unter dem brutalen Krieg im Osten der Ukraine. Das Waffenstillstandsabkommen von Minsk gilt längst als gescheitert. Das US-Militär im Stuttgarter Europa-Hauptquartier sieht gar „eskalierende Gewalt“.

Stuttgart/Kiew - Tagsüber Schusswechsel mit Scharfschützengewehren, schweren Maschinengewehren und Raketenwerfern. Nachts wird auch mit Panzern und schwerer Artillerie gefeuert. Im Osten der Ukraine geht der brutale Krieg weiter. Von der Weltöffentlichkeit wenig beachtet. Doch für die Menschen in Städten wie Marinka und Awdijiwka in der Region Donbass sind die blutigen Kämpfe zwischen pro-russischen Separatisten und ukrainischen Kräften zum bestimmenden Teil ihres Alltags geworden.

Am heutigen Samstag soll - wieder einmal – eine Waffenruhe gelten, die die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vermittelt hat. Doch die Hoffnung darauf, dass diese eingehalten wird, ist nicht sehr groß. Vorangegangene Waffenruhen hatten nie lange Bestand. Die US-Regierung erhebt massive Vorwürfe gegen die Aufständischen in der Ostukraine und ihre russischen Unterstützer. Das US-Außenministerium warf den Separatisten „Gewalt und Drangsalierung“ von OSZE-Beobachtern vor. Die Rebellen würden von Russland „dirigiert, finanziert und trainiert“, so eine Sprecherin. Erst am Dienstag hatte die OSZE-Mission mitgeteilt, zwei ihrer Beobachter seien 16 Kilometer nordöstlich von Donezk von Bewaffneten beschossen worden. Seit Anfang des Jahres wurden laut in der Krisenregion mindestens 45 Menschen getötet und 216 weitere verwundet. Seit Beginn des Krieges vor 1225 Tagen sind schätzungsweise 10 000 Menschen getötet und mehr als 1,7 Millionen in die Flucht getrieben worden.

450 Millionen Euro Militärhilfe

Der zunehmende Konflikt bereitet Politikern und Militärs in den USA immer mehr Kopfzerbrechen. „Wir sind zutiefst beunruhigt über die eskalierende Gewalt in der Ostukraine“, sagte US-Brigadegeneralin Dawne Deskins unserer Zeitung. Beim Stuttgarter Europa-Hauptquartier der US-Streitkräfte (Eucom) ist sie zuständig für die amerikanische Militärhilfe für die Ukraine. Die US-Regierungen unter Barack Obama und Donald Trump haben es zwar bisher abgelehnt, die Ukraine mit Waffen auszurüsten. Doch hilft das US-Heer seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim im Frühjahr 2014 bei der Ausbildung von mehr als 4000 ukrainischen Soldaten, lieferte Radar, Nachtsichtgeräte und Sanitätsfahrzeuge – im Gesamtwert von umgerechnet rund 450 Millionen Euro. „Die USA stehen zu ihrer Verpflichtung, die ukrainischen Streitkräfte auszubilden, auszurüsten und zu beraten, damit sie ihre Souveränität und territoriale Unversehrtheit besser verteidigen können“, sagt Deskins. Die Methode, um beim Aufbau einer effektiveren Streitmacht zu helfen: „Wir bilden ihre Ausbilder aus.“ Dabei kooperiert die Amerikaner auch mit Kanada, Großbritannien, Polen und Litauen . Bei seinem Besuch in Washington diese Woche stärkte die Trump-Regierung dem ukrainischen Präsident Petro Poroschenko überraschend stark den Rücken. „Die USA stehen an Ihrer Seite“, sagte Verteidigungsminister Jim Mattis. Das US-Finanzministerium weitere Sanktionen gegen Personen und Unternehmen mit Verbindungen zu Russlands Stellvertreterkrieg in der Ukraine. Anders als zuvor befürchtet sucht Präsident Trump also nicht die Nähe zu Russland auf Kosten der Ukraine, sondern folgt der Politik von Amtsvorgänger Barack Obama. Das gilt auch für den transatlantischen Schulterschluss mit der Europäischen Union, die ihre Russlandsanktionen ebenfalls gerade wieder verlängert hat.

Trotzdem, so bemängeln Kritiker, reicht die Unterstützung für die Ukraine nicht aus. „Die stillschweigende Billigung des Status quo hat dazu geführt, dass der Konflikt an Stärke und Intensität zugenommen hat“, beklagt Adrian Bonenberger von der US-Denkfabrik Truman National Security Project. Vor allem das zwei Jahre alte Waffenstillstandsabkommen Minsk II, gilt als gescheitert. Das Abkommen sieht vor, dass Russland die Kontrolle über seine Grenze und die Separatistengebiete an die Ukraine zurückgibt. Im Gegenzug erhält der Donbass mehr Autonomie. Doch beides ist in weite Ferne gerückt.