Die Frauen getöteter Häftlinge warten vor dem Gefängnis in Manaus. Foto: AP

Fast 60 Menschen sterben in Manaus. Die Bilanz des Aufstandes im nordbrasilianischen Amazonas-Gebiet ist blutig. Die Zustände in Brasiliens Haftanstalten bleiben katastrophal.

Brasilia - Wieder einmal sterben bei einer Meuterei in einem Gefängnis in Brasilien fast 60 Menschen. Schauplatz des Massakers ist die nordbrasilianische Amazonas-Stadt Manaus. In der Haftanstalt Anisio Jobim kam es zu blutigen Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Drogenkartellen. Diesmal waren es die Banden der Primeiro Comando da Capital (PCC – „Erstes Kommando der Hauptstadt“) mit Hauptsitz in São Paulo und die Familia del Norte (FDN – „Familie des Nordens“), die sich um die Macht im Gefängnis stritten. Laut lokalen Medienberichten sollen die Gangs dabei äußerst brutal vorgegangen sein und manche ihrer Rivalen geköpft haben.

Erst vor wenigen Monaten war es in der Region zu einem ähnlichen Vorfall gekommen. In Monte Cristo starben bei brutalen Auseinandersetzungen zwischen Bandenmitgliedern der PCC und der rivalisierenden Drogen-Gang Comando Vermelho („Rotes Kommando“) zahlreiche Häftlinge. Politische Konsequenzen gab es keine, was keine Überraschung ist. Egal welche Regierung in Brasilien gerade am Ruder ist, an den menschenunwürdigen Zuständen in den Haftanstalten haben bislang weder rechte noch linke Kabinette etwas verändert.

Die Haftanstalten sind chronisch überfüllt

Schon seit Jahren weisen Menschenrechtsorganisationen und die katholische Kirche immer wieder auf die katastrophalen Bedingungen in den brasilianischen Haftanstalten hin, die ein Klima der Gewalt erzeugten. Brasiliens ehemaliger Justizminister Jose Eduardo Cardozo von der linken Arbeiterpartei der inzwischen des Amtes enthobenen Präsidentin Dilma Rousseff hatte erst vor zwei Jahren vor den Zuständen öffentlich kapituliert und gesagt: „Die Gefängnisse sind wahre Schulen des Verbrechens.“

Ein überzeugendes Konzept zur Resozialisierung gibt es nicht. Die Haftanstalten sind chronisch überfüllt. Jene Justizvollzugsbeamten, die versuchen, sich den kriminellen Machenschaften zu widersetzen, riskieren das eigene und das Leben ihrer Familien. So entstehen rechtsfreie Räume in denen die Drogengangs die Macht in den Haftanstalten unter sich aufteilen. Waffenhandel, Prostitution und Drogengeschäfte breiten sich ungehindert aus. Strafgefangene, die sich dieser Kriminalität entziehen wollen, haben keine Chance.

Die katholische Kirche prangert Menschenrechtsverletzungen an

Die Probleme sind vielschichtig: Brasilien ist im weltweiten Vergleich eines der Länder mit der höchsten Zahl an Häftlingen. Nach Angaben des Instituts IPCR gibt es derzeit im ganzen Land mehr als 620 000 Häftlinge. In Gemeinschaftszellen müssen 25 bis 30 Männer auf engstem Platz leben. Brasiliens katholische Kirche zeigt sich entsetzt. Angesichts der 56 Todesopfer herrsche „große Traurigkeit und Angst“, sagte der Weihbischof von Manaus, Jose Albuquerque de Araujo Radio Vatikan. Er rief zur Wahrung der Menschenrechte und zur „Wiederherstellung des Friedens“ auf. Derzeit fehle beides in den Gefängnissen. Wie genau das geschehen könnte, weiß allerdings auch Araujo nicht.

Hinzu kommt, dass auch die Sicherheitskräfte offenbar über kein Notfall-Konzept verfügen. Spätestens seit dem 2. Oktober 1992, als es in überbelegten Gefängnis Carandiru im Norden Sao Paulos zur bislang größten Katastrophe gekommen war, zeigt sich die Polizei ratlos. Im Anschluss an eine Meuterei stürmte damals eine angeforderte Spezialtruppe den Zellenblock. Dabei erschossen die Sicherheitskräfte auch wehrlose Gefangene. Menschenrechtsorganisation bezweifeln bis heute die offizielle Todeszahl von 111 an und gehen von bis zu 250 Opfern aus. Inzwischen gab es bereits zahlreiche Prozesse gegen die beteiligten Sicherheitskräfte. Die Polizeiführung betonte stets, dass die Beamten in Notwehr gehandelt hätten.

Treibende Kraft soll das Drogenkartell PCC sein

Hoffnung auf eine Besserung der Lage gibt es nicht. Die neue Regierung des rechtsgerichteten Interimspräsidenten Michel Temer setzt angesichts von Wirtschaftskrise und leerer Staatskasse lieber auf eine Sparpolitik zu Lasten von Sozialprogrammen. Haftanstalten stehen da ganz unten auf der Prioritätenliste.

So ist der nächste Konflikt bereits programmiert und Brasiliens Regierung rechnet offenbar mit dem Schlimmsten. Erst vor drei Monaten hatte Brasiliens Justizminister berichtet, dass ein landesweiter Bandenkrieg um die Vorherrschaft im Drogenhandel im Gange sei. Die steigende Zahl von Aufständen und Bandenstreitigkeiten stützt diese These. Treibende Kraft soll das Drogenkartell PCC sein. Dessen Expansionslust ist offenbar noch lange nicht gestillt. Bereits heute hat das PCC zahlreiche Viertel in Rio de Janeiro unter ihre Kontrolle gebracht. Ihr Einfluss reiche sogar bis ins Nachbarland Paraguay, berichtete jüngst die Justiz. Nun hat das PCC auch im Norden des Landes ihre Machtposition gefestigt.