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Stuttgart 21: Ministerpräsident erwartet Stimmabgabe "auf dem Niveau der Landtagswahl".

Stuttgart - Mit viel Prominenz hat die Grünen-Landtagsfraktion am Donnerstagabend im Theaterhaus für einen Ausstieg des Landes aus dem Bahnprojekt Stuttgart21 geworben. Vor etwa 600 Gästen zeigte sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann zuversichtlich, das Quorum bei der Volksabstimmung am 27. November zu knacken.

Winfried Kretschmann kam fast anderthalb Stunden zu spät zur Veranstaltung. "Ich hatte schwierige Verhandlungen", entschuldigte sich der Ministerpräsident. Nicht, wie viele zunächst dachten, mit der SPD über Stuttgart 21, sondern mit "den kommunalen Landesverbänden über frühkindliche Bildung und Betreuung".

Hie wie dort geht es um viel Geld. Beim Tiefbahnhof ist sich der Ministerpräsident wie sein Verkehrsminister Winfried Hermann längst nicht sicher, ob das Geld reichen wird: "Wir bekommen jeden Tag neue Fakten, die unsere Bedenken bestärken - aber keine Fakten, die sie entkräften", sagte Kretschmann. Er wiederholte frühere Aussagen, wonach er "nicht sehenden Auges in eine Situation hineinschlittern" könne, "die Risiken für den künftigen Landeshaushalt in Milliardenhöhe bergen".

Mit einem modernisierten Kopfbahnhof K21 und dem Kombi-Bahnhof von Schlichter Heiner Geißler lägen die Alternativen auf dem Tisch. Angebliche Ausstiegskosten von 1,5 Milliarden Euro aus Stuttgart 21 seien "unsinnige Äußerungen einiger Projektbefürworter", betonte Kretschmann.

Aus Sicht von Michael Holzhey von der Berliner Beratungsfirma KCW ist die von Bahnchef Rüdiger Grube fixierte Kostenobergrenze von 4,526 Milliarden Euro für Stuttgart21 bereits überschritten. "Der Kostendeckel ist faktisch gerissen", sagte Holzhey, der derzeit im Auftrag des Landesverkehrsministeriums die Kosten von S21 neu berechnet. Der Bahnexperte prophezeite im Theaterhaus, dass die Gesamtkosten bis zur Fertigstellung auf mindestens 6,5 Milliarden Euro steigen. "Die Mehrkosten von zwei Milliarden Euro müssen das Land und seine Partner mindestens zur Hälfte tragen", warnte er. Zudem hinke das Bahnprojekt mittlerweile dreieinhalb Jahre hinter dem Zeitplan hinterher. Mit einer Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs sei nicht vor dem Jahr 2025 zu rechnen, auch weil sich die Finanzierung der Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm als limitierender Faktor erweisen werde.

Laut Kretschmann verheißen erste landesweite Rückmeldungen aus den Rathäusern eine hohe Wahlbeteiligung bei der Volksabstimmung. "Sie könnte das Niveau der Landtagswahl erreichen." Bei der Wahl am 27.März 2011 lag die Wahlbeteiligung bei 66,3 Prozent, abgegeben wurden knapp fünf Millionen gültige Stimmen. Das Quorum von 33 Prozent aller Wahlberechtigten wäre bei der Volksabstimmung bei knapp 2,5 Millionen Stimmen erreicht. "Das können wir sehr wohl erwarten", gab sich Kretschmann im Theaterhaus zuversichtlich, und bekam dafür stehenden Applaus des Publikums.

Danach verabschiedete sich der Ministerpräsident auch schon wieder. "Ich muss auf eine ganz schwierige Baustelle, und die heißt EnBW", so Kretschmann. Wie berichtet, droht dem knapp zur Hälfte in Landesbesitz befindlichen Energieversorger eine Beteiligung am Oldenburger Regionalversorger EWE zum Verlustgeschäft in Milliardenhöhe zu werden.