Der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin polarisiert mit seinen Thesen zur EU und zur Flüchtlingspolitik. Foto: dpa

Während die CDU ihren Landesparteitag begeht, tagen auf einer Burg im Kreis Ludwigsburg die enttäuschten Konservativen. Mit Thilo Sarrazin – und viel Kopfschütteln über den EU- und Flüchtlingskurs der Kanzlerin.

Stuttgart/oberstenfeld - Es ist ein denkwürdiger Samstag für die Union. In Sindelfingen begeht die CDU ihren Landesparteitag, feiert dabei unter anderem die Römischen Verträge, die einst das Fundament für die heutige Europäische Union (EU) gelegt haben. In Schwetzingen dagegen sieht man angesichts schwindender Umfragewerte vor der Bundestagswahl alles gar nicht so rosig – dort gründen Mitglieder des rechten Flügels von CDU und CSU den Verband „Freiheitlich-konservativer Aufbruch in der Union“. Doch es geht noch kritischer.

Nur wenige Kilometer weiter haben sich diejenigen versammelt, die mit der Union ganz gebrochen haben. Weit schweift der Blick hinaus ins Land von Burg Lichtenberg bei Oberstenfeld (Kreis Ludwigsburg). Hinaus in das Land, um das sich die 120 Gäste im Rittersaal Sorgen machen. Das Studienzentrum Weikersheim und der neue „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“ haben zur ersten gemeinsamen Veranstaltung geladen. Die beiden Organisationen, die für sich in Anspruch nehmen, konservative Denkfabriken zu sein, halten ihre Frühjahrstagung ab. Als Gastredner kommt SPD-Mann Thilo Sarrazin. Das zieht. 500 Anmeldungen gibt es, um die europa- und migrationskritischen Thesen Sarrazins zu hören. Nur ein Bruchteil der Interessenten hat Platz.

Vor der Burg stehen Autos mit Kennzeichen aus ganz Deutschland. Von Dresden bis Bayern sind sie gekommen, um Angela Merkel zu kritisieren und den Verlust der nationalen Identität zu beklagen. Besonders in der Union. Für die und ihre Flüchtlingspolitik hat man hier nur noch Kopfschütteln übrig. „Die Bestrebungen konservativer Kreise in der CDU sind ehrenwert“, sagt David Bendels mit Blick nach Schwetzingen, „allerdings glaube ich nicht, dass die CDU noch zu retten ist.“ Das macht der Mann, der bis zu seinem Parteiaustritt dem rechtskonservativen Flügel der Schwesterpartei CSU zugeordnet wurde, auch daran fest, welches Personal in der Union nachkomme. Er sagt voller Überzeugung: „Die Union wird nie wieder Heimat der Konservativen sein.“

AfD-Vertreter dominieren die Rednerliste

Das sehen wohl nicht nur Bendels und die mittlerweile rund 12 000 Unterstützer des Vereins so, der bisher vor allem mit Wahlwerbung für die Alternative für Deutschland (AfD) aufgefallen ist. Zwar beschreibt der in Stuttgart ansässige Verein sich ebenso wie das Studienzentrum Weikersheim selbst als überparteilich, doch das Bild im Saal ist recht eindeutig. Grußworte gibt es unter anderem von Alice Weidel, AfD-Spitzenkandidatin im Land für die Bundestagswahl, oder EX-CDU-Mann Maximilian Krah, jetzt ebenfalls bei der AfD. Dazu gesellen sich Gäste wie Barbara Rosenkranz, einst FPÖ-Kandidatin für die österreichische Bundespräsidentenwahl, oder der frühere Republikaner-Vorsitzende Rolf Schlierer. „Wir hatten auch Vertreter von CDU und FDP eingeladen, aber die haben aus terminlichen Gründen alle abgesagt“, so Bendels.

Sarrazin dagegen wird für seine Thesen gefeiert. Er fasst Passagen aus seinem jüngsten Buch zusammen, befasst sich dabei mit den Fragen, wie Politiker gut regieren und welche Fehler sie regelmäßig machen. Im Zentrum steht dabei die Kritik an der EU und am Flüchtlingsstrom nach Deutschland. Großen Applaus gibt es, wenn Sarrazin sagt: „Wir gefährden unseren Wohlstand, wenn wir glauben, Geburtenrückgänge mit bildungsschwachen Zuwanderern ausgleichen zu können.“ Sinnvoll seien nur qualifizierte Migranten. Und spätestens in der folgenden Diskussion macht sich immer mehr die Frage breit: Hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Entwicklung zu spät erkannt – oder macht sie bewusst eine Politik, die in den Augen der Anwesenden auf das Wohl Europas und der Welt, nicht aber der deutschen Bevölkerung ausgerichtet ist?

Drei Stunden wird darüber sinniert, wie der souveräne Nationalstaat noch zu retten ist. „Helfen könnte nur ein kollektives Wachwerden – von dem ich aber nicht weiß, wie man es bewirken könnte“, schließt Sarrazin – und schreibt fleißig Autogramme. Die Organisatoren sind sich einig, dass weitere gemeinsame Veranstaltungen folgen werden, um den Konservativen wieder auf die Sprünge zu helfen. „Wir waren es gewohnt, vor eher leeren Rängen zu sprechen“, sagt Jost Bauch, einer der beiden Präsidenten des Studienzentrums Weikersheim, „das aber hat sich in den vergangenen Jahren geändert.“ Dank des Kurses der Union.