Alle Kassen erheben künftig Zusatzbeiträge Foto: dpa

Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, rechnet nicht mit vielen Kassenwechslern zu Jahresbeginn. Die kommt erst nach einigen Monaten, wenn die Zusatzbeiträge steigen.

Stuttgart - Herr Baas, alle reden über die künftigen Zusatzbeiträge. Wann dürfen die Versicherten mit Post Ihrer Krankenkasse rechnen, in der über die Höhe des Zusatzbeitrags informiert wird?
Alle Kassen rechnen gerade rauf und runter. Derzeit laufen die Zuweisungsbescheide vom Bundesversicherungsamt für 2015 ein. Erst wenn die Bescheide vorliegen, wissen wir als TK, wie viel Geld wir aus dem Gesundheitsfonds erhalten. Ab Mitte Dezember werden wir klarer sehen.
Zwei Kassen, die AOK Sachsen-Anhalt und die AOK plus in Sachsen und Thüringen, sind schon vorgeprescht. Sie haben den Zusatzbeitrag auf 0,3 Prozent festgelegt. Zusammen mit dem einheitlichen Kassenbeitrag von 14,6 Prozent verlangen sie also künftig 14,9 Prozent. Warum waren die so früh dran?
Beide Kassen haben offenbar so viel Geld, dass sie die Zuweisungsbescheide gar nicht abwarten mussten. Das hat auch etwas mit dem Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen zu tun, der die AOKen generell begünstigt.
Wo wird die TK liegen? Ihre Kassen sind ebenfalls gut gefüllt. Anfang des Jahres konnten Sie Ihren Mitgliedern 80 Euro schenken.
Die allermeisten Kassen werden sich sehr nah am amtlichen durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 0,9 Prozent bewegen, also insgesamt um 15,5 Prozent. Wir legen uns am 12. Dezember fest. Wir werden unter dem Durchschnitt liegen, aber ganz sicher nicht unter 15 Prozent. Da verrate ich kein Geheimnis.
Allgemein wird erwartet, dass die Zusatzbeiträge zunächst künstlich niedrig gehalten werden. Keine Kasse will schließlich eine Kündigungswelle riskieren. Später dann könnten die Zusatzbeiträge kräftig steigen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Zunächst mal etwas Grundsätzliches zum Zusatzbeitrag. Er steht wirklich für eine Perversion von Marktwirtschaft.
Warum?
Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade einen Mercedes gekauft. Da bekommen Sie einen Brief von Mercedes. Darin steht: Schön, dass Sie einen Mercedes gekauft haben. Es gibt übrigens einen BMW, der ist genauso gut, aber viel billiger und jederzeit einzutauschen. Genau das passiert jetzt. Die Krankenkassen, die einen überdurchschnittlichen Zusatzbeitrag verlangen müssen, haben ihre Mitglieder darüber zu informieren, dass sie ein bisschen teurer sind. Und darüber, dass andere Kassen billiger sind.
Was folgt daraus?
Jede Kasse, die es irgendwie vermeiden kann, wird zum 1. Januar keinen überdurchschnittlichen Zusatzbeitrag verlangen. Natürlich auch Kassen, die es sich eigentlich nicht leisten können. Die lösen ihre Rücklagen auf, wenden vielleicht noch ein paar Bilanztricks an und gewähren weniger Leistungen.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nennt das Wettbewerb.
Aber es ist eben wieder nur ein reiner Preiswettbewerb. Es ist absurd, wenn die Leute einer Kasse wegen wenigen Euro den Rücken kehren, obwohl sie eigentlich mit ihr zufrieden sind.
Erwarten Sie eine massive Wechselwelle gleich zu Jahresbeginn?
Es wird einige Kassen geben, die über dem Durchschnitt liegen. Deshalb erwarte ich im ersten Vierteljahr etwas mehr Kassenwechsler als sonst. Aber es wird keine riesige Welle geben. Würde allerdings eine der großen Kassen gleich zu Beginn über 15,5 Prozent gehen, könnte es schon eine stärkere Bewegung geben. Aber das erwarte ich eher in der zweiten Jahreshälfte. Einige Kassen werden erhöhen, wenn sich die erste Aufregung gelegt hat.
Wo wird der Beitragssatz gegen Ende der laufenden Wahlperiode liegen?
Die Leistungskosten steigen ungebremst weiter. Wir rechnen mit einer Steigerung um 0,25 Punkte jährlich. Wir wären 2017 dann rein rechnerisch bei einem Beitragssatz von 16 Prozent. Aber 2017 ist ja ein Bundestagswahljahr. Vielleicht fällt der Politik ja etwas ein in Sachen Beitragskosmetik. Es wäre schließlich nicht das erste Mal.
Welche Reformen schlagen Sie vor angesichts der steigenden Leistungskosten?
Es gibt nur zwei Möglichkeiten, das in den Griff zu bekommen. Sie können erstens Leistungen rationieren, dann gibt es zum Beispiel ein bestimmtes sehr teures Medikament nicht mehr oder keine neuen Hüften mehr ab 60. Ich halte das in einem System, das noch über sehr viel Geld verfügt, für unmoralisch.
Und zweitens?
Sie können mehr Leistungsqualität ins System bringen. Darüber reden zwar alle, aber hinterher wird boykottiert, wenn es darum geht, das auch umzusetzen. Qualität kann man messen. Ich finde es richtig, wenn wir für bessere Qualität etwa im Krankenhaus mehr zahlen und für schlechte dann eben auch nichts mehr. Das ist heute noch nicht möglich, aber ich halte das für zwingend. Schlechte Qualität muss raus aus der Versorgung. Das ist im Interesse unserer Versicherten. Und wir sparen damit Geld, weil es weniger Anbieter gibt. Auch im Gesundheitswesen schafft Angebot Nachfrage.