Gebetsraum für Muslime im Krankenhaus in Schorndorf Foto: phalanx

Ängste, Schmerzen, Unbehagen: Der Gang in eine Klinik fällt keinem leicht. Muslimische Patienten kostet er noch mehr Überwindung. Ihnen stehen nun immer öfter Seelsorger mit dem gleichen Glauben zur Seite.

Heidelberg/Stuttgart - Der deutsche Klinik-Alltag stellt muslimische Patienten auf eine harte Probe. Der Islam kennt zahlreiche Gebote. „Beim Essen etwa sind nur Lebensmittel erlaubt, die ‚halal‘ sind – also nach muslimischen Regeln hergestellt wurden“, gibt Amen Dali zu bedenken. Seit 2011 ist der gebürtige Tunesier im Universitätsklinikum Heidelberg als islamischer Seelsorger tätig. Ehrenamtlich.

Zwei Jahre hat Dalis Ausbildung am Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog gedauert. Inzwischen sind es maximal neun Monate – die Ausbildung umfasst jetzt 190 Stunden Unterricht und 80 Stunden Praktikum. Interessenten werden auf Herz und Nieren geprüft. „Wir müssen wissen, ob sich unsere Bewerber charakterlich für diese anspruchsvolle Tätigkeit eignen“, sagt Projektleiter Alfred Miess vom Mannheimer Integrations-Institut. Schließlich sei der Job psychisch anspruchsvoll.

In Heidelberg und im nördlichen Teil Baden-Württembergs gebe es bereits ausreichend islamische Seelsorger, stellt Miess fest. Auch in der Landesmitte halte die Nachfrage mit dem Angebot Schritt. Ein Mangel herrscht dagegen in der Bodensee-Region. Das Integrationsministerium fördert deshalb eine Initiative des Mannheimer Instituts, das im südlichen Landesteil für den Ausbildungsgang „Islamische Krankenhausseelsorge“ wirbt; inzwischen läuft die Ausbildung von Ehrenamtlichen für 18 Krankenhäuser in Oberschwaben und am Bodensee.

Auch in der Region Stuttgart wird um muslimische Seelsorger geworben. Das Bildungszentrum des Stuttgarter Marienhospitals lud jüngt zu einer Informationsveranstaltung ein. Bis 2016 soll es in Baden-Württemberg flächendeckend Krankenhausseelsorge für die rund 550 000 hier lebenden Muslime geben.

„Manchmal wird in der Eile ein Essen vertauscht“

Amen Dali hat seine Ausbildung nicht bereut. „Die Arbeit macht Spaß“, sagt er. Er bekomme hautnah mit, wo der Schuh drücke. „Manchmal wird in der Eile ein Essen vertauscht“, sagt der 30-Jährige. Für das Personal mag das nicht tragisch sein – für einen gläubigen Muslim schon. Der Koran verbietet Schweinefleisch auf dem Teller. Daher fragen viele Kliniken inzwischen bei der Aufnahme nach, welche Kost ihr Patient wünscht: vegetarisch, nichtvegetarisch – oder auch muslimisch.

Im Krankenhaus-Alltag stellen sich allerdings noch viel heiklere Probleme als das Essen. „Bei ärztlichen Untersuchungen hegen muslimische Patienten oft die Erwartung, dass Frauen nicht von Ärzten und Männer nicht von Ärztinnen untersucht werden“, berichtet Dali. Bei der Pflege sei es genauso. Gehe es nicht anders, koste das trotzdem viel Überwindung.

Nur: Wie teilt man jemandem seine Ängste oder Empfindlichkeiten mit, wenn man die Sprache nicht spricht? Für Ärzte ist es in diesem Fall schwierig, eine genaue Diagnose zu stellen. Zumindest in Heidelberg kann Amen Dali helfen. Wenn die Patienten Arabisch sprechen, springt er als Dolmetscher ein. „Oder ich organisiere jemanden.“

Fastenmonat Ramadan stellt Pflegekräfte vor Herausforderungen

Obwohl Kranke im islamischen Recht von einer Reihe von religiösen Grundpflichten befreit sind, wollen muslimische Patienten während ihres Klinik-Aufenthaltes darauf meist nicht verzichten. „Das gibt ihnen Halt“, sagt Dali. Die Klinik in Heidelberg hat eigens einen Gebetsraum mit Waschmöglichkeit eingerichtet. Ein weiterer soll folgen. „Das ist vorbildlich“, lobt Dali.

Zudem stellen der generelle Alkoholverzicht oder die besonderen Regeln des Fastenmonats Ramadan Pflegekräfte und Ärzte vor Herausforderungen. „Das Alkoholverbot erschwert die Medikamentengabe, wenn in den Arzneien Alkohol enthalten ist“, berichtet Christina Bauer, Pflegepädagogin an der Akademie für Gesundheitsberufe des Universitätsklinikums Heidelberg. Auch die Gabe von Enzymen – etwa bei Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse oder unfreiwilliger Kinderlosigkeit bei Männern – gestalte sich schwierig. „Denn die Enzyme stammen von Schweinen“, erläutert Bauer. Hier kann Amen Dali beruhigen, aufklären und Rat geben: „Jeder Muslim weiß, dass sein Körper nur ausgeliehen ist und er sich daher nicht selbst schaden darf.“

Dali unterstützt Personal und Patienten gleichermaßen. Auch den Angehörigen hilft er. „Viele benötigen einen Trauerraum. Denn in arabischen Kulturkreisen wird der Tod eines Verwandten von der ganzen Familie sehr lautstark betrauert.“

Oder er vermittelt bei spontanen Patientenbesuchen. Die bringen für gewöhnlich den Klinik-Ablauf durcheinander. „Für Muslime ist es eine Ehre, einen Kranken zu besuchen“, erläutert er. Nur: Nicht jeder Bettnachbar empfindet es als Bereicherung, wenn sich der Raum schlagartig mit einer Handvoll Besuchern füllt. Das Pflegepersonal stößt in solchen Situationen schnell an Grenzen. Bauer hat das schon oft erlebt: „Unsere Autorität wird nicht akzeptiert.“ In solchen Fällen helfe oft nur „ein Machtwort des Chefarztes“. Seelsorger Dali plädiert stattdessen für gegenseitige Rücksichtnahme: „Jeder Kranke hat ein Recht auf Ruhe, Muslim oder nicht.“

Ärzte und Pfleger umschiffen immer öfter solche Klippen. Das Klinikum Stuttgart etwa vermittelt seinen Mitarbeitern religiöse Hintergründe oder kulturelle Eigenheiten schon in der Ausbildung. Etwa den Wunsch muslimischer Angehöriger, einen Verstorbenen rituell zu waschen. „Wird er geäußert, versuchen wir, ihn zu erfüllen“, sagt Sprecherin Ulrike Fischer.

Egal welches Problem in Heidelberg auftritt: „Wir sind froh, unseren Herrn Dali zu haben“, sagt Pflegepädagogin Christina Bauer. Auch Amen Dali glaubt daran, von seinem ehrenamtlichen Einsatz zu profitieren: „Gott belohnt jeden, der anderen Menschen hilft.“