Die Sorgenfalten werden tiefer: Finanzminister Schmid (links) und Ministerpräsident Kretschmann haben nachgerechnet, was der starke Zustrom an Flüchtlingen das Land kosten wird. Foto: dpa

Was kostet der massive Zustrom an Flüchtlingen nach Baden-Württemberg den Steuerzahler? Bisher war das unklar. Nun steht fest: Grün-Rot rechnet mit Milliardenausgaben im nächsten Jahr.

Stuttgart - Wenn es um die Aufstellung des Landeshaushalts geht, dann schließen sich im Finanzministerium im Regelfall alle Türen. Die Experten brüten dann über erhofften Einnahmen und erwarteten Ausgaben. Und als ob das nicht reicht, kommt stets eine Herausforderung hinzu. Zum einen putzen die Minister die Türklinke von Kassenwart Nils Schmid (SPD), um diese oder jene Investition vielleicht noch finanziert zu bekommen. Zum anderen dürfen die Regierungsfraktionen diverse Wünsche anmelden, wo sie im Land gerne Wohltaten verteilen würden. Doch bei einem Nachtrag fällt das weg. Da wird knallhart gerechnet, weil ein solcher Nachschlag zum bereits verabschiedeten Haushalt im Regelfall so niedrig wie möglich ausfallen soll.

So war es auch in den vergangenen Wochen, als im Haus von Minister Schmid der Nachtragsetat zum Landeshaushalt 2015/2016 vorbereitet wurde. „Man wollte kein Klein-Klein, sondern wirklich nur die großen Brocken“, sagt ein leitender Beamter. Das bekamen, so wird erzählt, auch Umweltminister Franz Untersteller und Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (beide Grüne) zu spüren, die mit ihren Ausgabenwünschen abblitzten. Denn die Experten von Schmid hatten im Prinzip nur eine Kostenstelle im Blick: die Flüchtlinge. Doch so lange auch gerechnet wurde, am Ende stand dennoch relativ schnell fest: Dieses Thema wird den Landeshaushalt über Gebühr belasten. Nun, da der Nachtrag fertig ist und am nächsten Dienstag in der Kabinettssitzung der Landesregierung beraten werden soll, wird das bewiesen.

Kretschmann fährt auf Sicht

Für dieses Jahr rechnet das Finanzministerium mit Mehrausgaben von 209 Millionen Euro, für 2016 mit gigantischen 1,57 Milliarden Euro. „Das sind Beträge, die sich vorher kaum jemand vorstellen konnte“, heißt es im Staatsministerium. Aber die Fakten lassen keine Wahl. Denn der Zustrom an Flüchtlingen ins Land hält unvermindert an, und ob es am Jahresende wirklich 100 000 oder sogar noch mehr Fremde geben wird, die hier Asyl beantragen und untergebracht werden müssen, mag derzeit niemand abschätzen. „Wir müssen auf Sicht fahren“, hatte Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) erst am Dienstag wieder betont und damit klargemacht, dass Prognosen derzeit einem Lottospiel gleichkommen würden.

Erfreulich ist, dass der Finanzminister in diesem Jahr 768 Millionen Euro weniger Kredite aufnehmen will, als dies ursprünglich im Doppelhaushalt geplant war. Doch die Ausgaben bleiben, und da neben den Geldern für die Flüchtlinge noch kleinere Ausgaben wie für Stellenhebungen bei der Polizei, für die Digitalisierung und für das Jobticket mit zusammen 18 Millionen Euro anfallen, muss Schmid eine Deckungslücke von 989 Millionen Euro stopfen. Sein Rezept: 361 Millionen Euro werden aus einer Rücklage entnommen, weitere 349 Millionen Euro kommen aus Haushaltsüberschüssen von 2014, 100 Millionen Euro aus Bundesmitteln für die Flüchtlinge und 180 Millionen Euro erhofft sich Schmid aus Steuermehreinnahmen.

Der Zeitdruck ist da

Auch für 2016 sind alle zentralen Positionen festgelegt. Die 1,5 Milliarden Euro Mehrkosten für die Flüchtlinge sollen unter anderem durch 285 Millionen Euro erhoffte Steuermehreinnahmen, weitere 431 Millionen Euro aus den Haushaltsresten 2014, 500 Millionen Euro aus Haushaltsresten 2015 und 120 Millionen Euro aus einer Sparrunde quer durch alle Ministerien erbracht werden.

„Das ist eine sehr wackelige Kalkulation“, wird freilich in der Koalition eingeräumt, da zum jetzigen Zeitpunkt niemand verlässlich sagen könne, ob sich die Steuereinnahmen wirklich weiterhin so positiv entwickeln und ob der Etat 2015 tatsächlich so viele Reste übrig lässt. In der grün-roten Koalition gibt man sich aber dennoch optimistisch. „Wir müssen da jetzt durch und haben keine andere Wahl“, sagt einer.

Der Zeitdruck jedenfalls ist da. Anfang November ist die Steuerschätzung, Mitte November tagt der Finanz- und Wirtschaftsausschuss des Landtags, der das Papier prüfen muss, Ende November wird der Nachtragshaushalt im Landtag beraten. Und bis Jahresende muss er vom Parlament verabschiedet werden.