Fifa-Chef Sepp Blatter will sich für eine fünfte Amtszeit wählen lassen Foto:  

König Sepp sitzt seit 1998 ununterbrochen auf dem Thron des Weltfußballs. Jetzt erschüttert ein Korruptionsskandal die Fifa. Aber vermutlich ist es leichter eine Kuh zum Fallrückzieher zu zwingen, als den Schweizer Platzhirsch zum Rücktritt.

Zürich - Am Ende der dramatischen Partie hatte sich alles gefügt: Die Emissäre des Weltfußballs waren nach Zürich geeilt, um ein bisschen zu feiern, ein wenig zu reden und am Ende ihren Präsidenten in seine fünfte Amtszeit zu wählen. Und umgeben von all den Gesinnungsgenossen wähnten sich wohl auch jene Spießgesellen in Sicherheit, die Stunden später mit Hilfe der Schweizer Kantonspolizei nicht so ganz freiwillig ihre Adresse wechselten. Auf diesen Überraschungsangriff, so ist anzunehmen, hatten die Verteidiger amerikanischer Gesetze schon lange gelauert. Jetzt sitzen sieben prominente Funktionäre des Welt-Fußballverbands (Fifa) im Knast. Darunter die zwei Vizepräsidenten Jeffrey Webb (Kaimaninseln) und Eugenio Figueredo (Uruguay). Gegen sieben andere wird noch ermittelt.

Und die US-Behörden haben die Auslieferung der Sportskameraden nicht etwa deshalb beantragt, weil sie mit ihnen über die Geheimnisse des Kurzpass-Spiels philosophieren wollen. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, reichen sie locker, um die Delinquenten für längere Zeit des Feldes zu verweisen. Es geht um Geldwäsche, Betrügereien, Schmiergelder und Stimmenkauf aus den vergangenen 24 Jahren in Höhe von rund 137 Millionen Euro. „Der organisierte internationale Fußball braucht einen neuen Start“, sagte der Staatsanwalt Kelly T. Currie und stellte klar: „Das ist nicht das letzte Kapitel unserer Untersuchung.“

Der lange Arm des Gesetzes griff nach den Beschuldigten am frühen Mittwochmorgen im Züricher Fünf-Sterne-Hotel Baur au Lac. Und wer dabei war, berichtet von Szenen, die jedem James-Bond-Film zur Ehre gereicht hätten. Zivilbeamte enterten das Hotel, ließen sich die Zimmerschlüssel geben und baten die verdutzten hohen Herren des Fußballs zu einem Ausflug in die Welt von Recht und Gesetz. Zur selben Zeit klingelte ein Team aus Fahndern beim Pförtner in der Züricher Zentrale des gemeinnützigen Vereins Fifa. Sie besorgten sich spannende Lektüre: Unterlagen über die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar. Zudem wurden die Hauptquartiere der Kontinentalverbände von Nord- und Zentralamerika sowie der Karibik durchsucht. Es soll auch bei der Vergabe der Copa America 2016 Schmiergeld geflossen sein.

Öffentliche Beben solcher Stärke sorgen selbst unter den krisengestählten Managern in der Züricher Fifa-Zentrale für rote Flecken im Gesicht. Und Großeinsätze der Polizei während eines Mega-Kongresses waren auch den meisten der Delegierten aus 209 Nationen wohl nur aus Hollywood-Streifen bekannt. Dabei lag der Ball für die US-Justiz schon seit längerem schon auf dem Elfmeterpunkt: Skandalöse Berichte über den Sumpf aus Korruption, Intransparenz und Selbstherrlichkeit rund um den Züricher Fußball-Tempel füllen seit Jahren die Ordner derer, die Sepp Blatter und den Seinen unterstellen, dass bei der Vergabe von Weltmeisterschaften, Fernseh- und Vermarktungsrechten Schmiergeldzahlungen so selbstverständlich waren wie versteckte Fouls vor dem Eckball. Den Ball ins Rollen gebracht hatte Michael J. Garcia, ein harter Knochen und ehemaliger US-Staatsanwalt, der erst im Auftrag der Fifa-Ethikkommission ermittelte, dann aber vor Wut schäumte („Führungsmangel bei der Fifa“), als die Auftraggeber in seinem Abschlussbericht nichts rechtlich Verwertbares fanden. Seine früheren Kollegen bewerteten die Causa anders und setzten die Ermittlungen in Gang. Einige der Gelder sollen über dunkle Kanäle auch in den USA geflossen sein. Verdächtige Konten wurden inzwischen gesperrt.

Mittendrin statt nur dabei: Funktionäre aus Asien, Lateinamerika und Afrika. Vertreter jener Klientel meistens, die seit vielen Jahren dem virtuosen Strippenzieher an der Spitze des Welt-Fußballverbands über alle Hürden hilft, die ihm seine Kritiker in den Weg stellen: Fifa-Chef Sepp Blatter (79).

Kaum waren die ersten Schockwellen verebbt, schickte er seinen Pressechef Walter de Gregorio vor die hungrige Medienmeute, um dort mit wackeliger Stimme zu verkünden, dass es keinen Skalp zu verteilen gebe. Blatter tanze zwar nicht in seinem Büro, sei von der Razzia aber nicht betroffen und eigentlich ganz froh darüber, dass die schwarzen Schafe in der Fifa-Familie endlich aussortiert würden. Ach, übrigens: „Die Wahl des Fifa-Präsidenten wird an diesem Freitag wie geplant stattfinden.“

Der jordanische Prinz Ali bin Hussein (39), Blatters Herausforderer, sprach immerhin von einem „traurigen Tag für den Fußball“. Dass der Skandal seine Siegchancen nennenswert befördert, ist eher auszuschließen. Vor allem die Reihen aus Afrika und Asien stehen fest und geschlossen hinter dem alten Mann aus der Weltzentrale, der an der Nahtstelle zwischen Arm und Reich erfolgreich mit seiner Art von pragmatischem Sozialismus agiert. Rund 225 000 Euro kassiert jeder Nationalverband pro Jahr. Die kleinen und armen, über Projekte gesteuert, gerne auch ein bisschen mehr. Was schon deshalb klug ist, weil sie in Reihen der Fifa in der Mehrheit sind und König Sepp alle vier Jahre die Stimmen sichern, die er braucht, um sich auf dem Thron des Welt-Fußballs zu halten.

„Im Fußball und vor der Fifa sind alle gleich“, pflegt der polyglotte Schweizer zu postulieren und verteilt die Einnahmen des gemeinnützigen Vereins Fifa nach Gutsherrenart. 2013 verdiente der Weltverband rund 293 Millionen Euro, zahlte in der Schweiz aber nur 16,3 Millionen Euro an Steuern. Seit seinem Amtsantritt 1998 spendierte die Fifa weltweit rund 2,25 Milliarden Euro für den Bau von Kunstrasenplätzen, Stadien, Fußballschulen oder Verbandszentralen, aber auch für Fortbildungsangebote. Allein in die Sport-Infrastruktur Afrikas flossen nach Expertenschätzungen rund 225 Millionen Euro.

Geld als Triebmittel der Politik. Als dem vor allem in Europa ungeliebten Blatter während der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien mal wieder der Wind kalt ins Gesicht wehte, trat er vor die Fifa-Delegierten, spannte die Brust und sagte: „Sie werden glücklich sein.“ 4,3 Milliarden Euro Umsatz machte der Weltverband mit dem Mega-Turnier, das nur bekommt, wer die Steuerfreiheit garantiert. Die fällige Sonderausschüttung wärmte vor allem das Herz der Afrikaner. Die von einer Reformkommission vorgeschlagenen Alters- und Amtszeit-Beschränkungen fegten sie anschließend im Sinne ihres Herrn und Meisters vom Tisch.

Wer es wagt, als Ungerechtigkeit zu bezeichnen, dass etwa der riesige und einflussreiche Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit sieben Millionen Mitgliedern im Weltverband nicht mehr Gewicht hat als ein Bonsai wie Trinidad und Tobago, dem wird unterschwellig schon mal Großmannssucht oder latenter Rassismus unterstellt. Und das kommt an in der Neidgesellschaft des Weltfußballs. One member, one vote. Ein Mitglied, eine Stimme.

Von einem „Hühnerlizüchterverein“ sprach neulich der frühere Fifa-Integritätsberater Mark Pieth beim Stuttgarter Sportgespräch. Die Fifa verdiene im Stile eines Weltunternehmens Milliarden, sei in ihrer Struktur aber ein Verein geblieben. „Daraus hat sich ein Patronage-Netzwerk entwickelt.“Mit groben Fouls am Fußball.

„Ich trete wieder an, wenn bewiesen ist, dass die Fifa keine Diktatur ist“, sagt Luís Figo, Ex-Fußballstar aus Portugal. Vor Tagen zog er seine Kandidatur gegen Blatter zurück, ihm nach tat es Michael van Praag, Präsident der niederländischen Fußballer. Beide hatten erkannt, das es bis auf weiteres leichter ist, eine Kuh zum Fallrückzieher zu zwingen, als den Schweizer Platzhirsch aus dem Amt zu drängen.