Für Lehrerinnen bisher verboten: Kopftuch als religiöses Zeichen Foto: dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat das in vielen Bundesländern geltende pauschale Kopftuchverbot für Lehrerinnen für unzulässig erklärt. Dazu Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Stuttgart - Mit ihrem Beschluss haben die Richter zwar eine Klage zweier deutschen Musliminnen aus Nordrhein-Westfalen bewertet. Da sieben weitere Bundesländer den Umgang mit Kopftüchern aber ähnlich regeln, werden auch sie reagieren müssen – darunter Baden-Württemberg.

Was beanstanden die Richter?
Ihnen missfällt, dass das bisher geltende Verbot einer „äußeren religiösen Bekundung“ (also des Kopftuchs) mit einer pauschalen und abstrakten Gefährdung des Schulfriedens begründet wird. Dies kollidiere auf unzulässige Weise mit dem Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Gegen das Kopftuch sei nichts einzuwenden, solange die Lehrerinnen nicht verbal für ihren Glauben werben und Schüler zu beeinflussen versuchten, meinen die Richter: „Vom Tragen eines islamischen Kopftuchs geht für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus.“
Sind auch christliche Symbole betroffen?
Die Schulgesetze der betroffenen Länder nehmen bisher die „Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte“ vom Verbot aus. Das hält Karlsruhe für verfassungswidrig: „Werden äußere religiöse Bekundungen durch das pädagogische Personal in der Schule untersagt, so muss dies grundsätzlich unterschiedslos geschehen.“ Es gebe keinen Grund, nicht-christliche Glaubensbekundungen zu benachteiligen. Man dürfe auch nicht pauschal schlussfolgern, dass ein Kopftuch für die Ungleichbehandlung von Mann und Frau stehe.
Ist das Kopftuchverbot nun verboten?
Nein. Sobald eine „hinreichend konkrete Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität“ festgestellt wird, darf Lehrerinnen das Kopftuchtragen an einzelnen Schulen oder Schulbezirken auch künftig verboten werden. Dies konkret zu belegen, dürfte allerdings schwierig werden und wird den Juristen weiterhin Arbeit bescheren.
Spricht Karlsruhe mit einer Stimme?
Nein. Die Entscheidung fiel mit sechs gegen zwei Stimmen. In ihrer abweichenden Meinung halten die beiden Richter ihren Kollegen vor, sie vernachlässigten, dass Schüler dem Einfluss der Lehrer nicht nur flüchtig, sondern besonders stark ausgesetzt seien: „Deren Verhalten, auch die Befolgung bestimmter religiöser Bekleidungsregeln, trifft auf Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind.“ Außerdem warnen sie, das Tragen religiöser Kleidung von Lehrerinnen könne auch zu Konflikten innerhalb der Schülerschaft und unter den Eltern führen.
Warum ändert das Gericht seine Meinung?
Das bleibt offen. In der Tat korrigiert Karlsruhe mit seinem jüngsten Beschluss eine Entscheidung aus dem Jahr 2003. Damals hatten die Richter das vorsorgliche Kopftuchverbot noch erlaubt. Gallig heißt es denn auch im aktuellen Minderheitsvotum der beiden Richter Monika Hermanns und Wilhelm Schluckebier, die frühere Entscheidung, auf deren Grundlage viele Bundesländer ihre Schulgesetze gebaut haben, „wären der verfassungsrechtlichen Beurteilung auch im Interesse einer berechenbaren Verfassungsrechtsprechung zu Grunde zu legen gewesen“. Mit anderen Worten: Karlsruhe ist in der Kopftuchfrage unberechenbar.
Wie reagiert die Landesregierung?
Das Kultusministerium will die Konsequenzen rasch prüfen, räumt aber bereits ein, dass das baden-württembergische Schulgesetz die gleichen Regelungen hat wie das nordrhein-westfälische. Deshalb gebe es „Auswirkungen auf die Rechtslage“ im Südwesten. Integrationsministerin Bilkay Öney verwies auf eine von ihrem Haus initiierte Studie zu den Toleranzgrenzen der Baden-Württemberger. Diese habe ergeben, dass trotz der insgesamt toleranten Haltung zum Kopftuch 68 Prozent der Baden-Württemberger der Ansicht seien, dass das Kopftuch ein Hindernis für die Gleichstellung von Mann und Frau sei. Öney: „Wir sollten den Dialog weiter führen.“
Sind die Islamverbände zufrieden?
Der Zentralrat der Muslime bezeichnet den Karlsruher Beschluss als „richtigen Schritt“, weil er die Lebenswirklichkeit muslimischer Frauen in Deutschland würdige. Der Verband Ditib spricht von einem „Meilenstein“ für die Gleichberechtigung. Dadurch werde die Aussage , der Islam gehöre zu Deutschland, mit Leben erfüllt. Auch der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland begrüßt die Entscheidung. Die Konsequenz könne nur die ersatzlose Streichung der Kopftuchverbote in allen Ländern sein. Kritik übte allerdings die Religionsgemeinschaft des Islam: Es sei nicht ersichtlich, ob das öffentliche Bekenntnis zum Islam womöglich auch fundamentalistisch bedingt sei, sagte der Landeschef der Gemeinschaft, Ali Demir. Religion gehöre zur Privatsphäre, betonte er. Eltern müssten sicher sein, dass ihre Kinder nicht von „ideologisch verblendeten Menschen“ unterrichtet werden.
Was halten die christlichen Kirchen davon?
Die katholische deutsche Bischofskonferenz sprach von einem starken Signal für die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Von der Evangelischen Landeskirche war gestern keine Stellungnahme zu erhalten. Bayerns CSU pocht auf eine Sonderstellung des Christentums in der Schulfrage. „In jedem Fall werden wir in Bayern alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen, damit das Christentum bei uns in Bayern privilegiert bleibt und weiterhin das prägenden Wertefundament für unsere Gesellschaft ist“, sagte Generalsekretär Andreas Scheuer.
Wie reagiert die Bundesregierung?
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), begrüßt die Entscheidung. „Damit wird die gesellschaftliche Diskussion aber nicht zu Ende sein“, sagte die Staatsministerin. Der Richterspruch befeuere die Debatte darüber, „wie wir in einer pluralen Gesellschaft miteinander leben wollen“. Das Bundesinnenministerium hatte 2014 für alle Behörden seines Geschäftsbereichs verfügt, das Tragen des Kopftuchs zu gestatten.
Gibt es auch kritische Bewertungen?
Der durch zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Integration bekannt gewordene Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, bezeichnete den Karlsruher Beschluss als „Katastrophe“. Die Richter stellten die Religionsfreiheit des Einzelnen über das staatliche Gebot wertneutralen Handelns. Das sei ein grober Fehler: „Ich halte das für ein Zurückweichen, für die Preisgabe eines elementaren Bausteins unserer Gesellschaft.“ Seiner Ansicht nach erschwert das Urteil den Kampf gegen religiösen Fundamentalismus.