Axolotl sind zwar Amphibien, verlassen das Wasser aber nie – auch nicht in Mathieu Merciers Versuchsanordnung „Diorama“ von 2012 Foto: Villa Merkel

Was passiert, wenn industriell hergestellte Waren in den Raum der Kunst gebracht werden? Die Frage ist nicht neu, umso spannender ist es, wie der 1970 geborene Mathieu Mercier sie in seinem künstlerischen Werk beantwortet. Zu erleben ist die Antwort noch bis zum 22. Februar.

Esslingen – Die Ausstellung „everything but the kitchen sink“ von Mathieu Mercier, geboren 1970 (lebt in Paris), in der Villa Merkel in Esslingen zeigt etwa 40 Arbeiten aus der Zeit von 2002 bis 2014, die meisten aus den letzten drei Jahren. Einige dieser Arbeiten sind raumgroße Installationen, für die gerade die vielen kleineren Räume der Villa Merkel sehr geeignet sind.

Mathieu Mercier positioniert seine Arbeiten, die er vor allem als Untersuchungen gesellschaftlicher Fragen versteht, an dem Kreuzungspunkt von Kunstwerk und industriell hergestellter Ware. An dem Punkt, an dem Kunstwerke als Objekte in der Welt und als Waren auf dem Markt analysiert oder produziert werden und an dem umgekehrt beliebige Objekte, industriell hergestellte Güter, in den Kunstzusammenhang gebracht, dort ästhetisch befragt und als Kunstwerk wahrgenommen werden. Damit markiert seine Arbeit einen Punkt der Überschneidung von zwei zentralen Bewegungen der künstlerischen Avantgarde im 20. Jahrhundert.

Schon für den Jugendstil, dann für den russischen Konstruktivismus und später das Bauhaus in den 1920er Jahren und dann, wenigstens teilweise, die Minimal Art in den 1960er Jahren stellte sich die Frage, wie die alltägliche industrielle Produktion von Gütern mit Hilfe der Kunst sowohl ästhetischer als auch vernünftiger gestaltet werden könnte.

Letztlich mündete die Antwort in die Ausbildung der Gestaltung der Oberflächen, der Erscheinungsweisen der hergestellten Objekte – in das Design. Und umgekehrt stellte Marcel Duchamp zuerst die Frage, die in den späten 1950er Jahren im Neodada und radikaler in den 1960er Jahren in der Kritik des Museums (etwa bei Marcel Broodthaers) wieder aufgegriffen wurde: wie sich die Wahrnehmung von alltäglichen Objekten verändert, wenn diese im musealen Zusammenhang präsentiert werden.

Die Geschichte des industriellen Designs ist eine Geschichte der immer stärkeren Eigenständigkeit der verführerischen Oberfläche der Waren, der immer stärkeren Betonung ihres Designs und damit des immer stärkeren Auseinanderfallens dessen, was ein Objekt zu sein scheint (was es verspricht), und was es tatsächlich ist (oder leistet oder erfüllt). In einer sehr amüsanten Radikalisierung dieser Spaltung hat Mathieu Mercier in Esslingen kleine, meist unauffällige Objekte versammelt, bei denen von vornherein Erscheinung und reale Funktion auseinanderfallen: „Ohne Titel (work in progress)“ ist die Arbeit von 2013 betitelt. Die industriell hergestellten unauffälligen Objekte in den drei Vitrinen verleugnen oder verheimlichen ihre Funktionen; sie sind tatsächlich Drogenverstecke, erotische Objekte, Waffen, Scherzartikel.

Eine Reihe von Arbeiten erinnern an zentrale Werke des Konstruktivismus und der geometrischen Abstraktion, sind aber aus alltäglichen Materialien und Objekten zusammengesetzt. So weisen die kulturell aufgeladenen Formen und die industriell hergestellten Materialien und Objekte eine selbst hoch gespannte Spaltung zwischen bedeutungsvoller Hochkunst und banaler, niederer Ware auf. „Drum & Bass, Fat Max“ von 2014 zum Beispiel versammelt eine gelbe Wasserwaage, eine rote Lampe und eine blaue Schachtel auf einem schwarzen Regalwerk. Der Gedanke an Mondrian bleibt nicht aus.

Oder „Drei Achsen, drei Sphären“, ebenfalls 2014 entstanden. Drei Achsen aus Holz und Metall und drei Kunststoffbälle in Grundfarben erinnern an die Wandreliefs von Tatlin und an Lissitzky. Auch mit „Ohne Titel (Hemdstruktur)“ von 2008 provoziert Mercier eine Annäherung. Auf unterschiedliche Rechtecke aus Styropor genähte Baumwolle mit Knöpfen erinnert an die Planeten von Malewitsch. Das Spiel auf die Spitze treibt die Arbeit „Zwei Stühle“ von 2014. Ein überall verbreiteter Gartenstuhl aus weißem Kunststoff und eine Kopie eines berühmten Rietveld-Stuhls von 1934 stehen einträchtig nebeneinander. Und bilden als Paar etwas Neues.

„Die deutliche Referenz auf Kunstwerke oder Künstler“, sagt Mercier selbst, „funktioniert als Berührungspunkt mit dem Publikum. Diese Referenzen sind im Werk präsent, weil sie in meinem Leben, meist auch im Leben der Betrachter, existieren. Sie sind wie eine Wegmarke, nichts mehr, aber auch nichts weniger.“

Mathieu zitiert also nicht bestimmte Arbeiten, sondern er spielt auf die Art und Weise an, wie wichtige Stile oder Tendenzen der modernen Kunst schematisiert und zu einer Art Logo oder Markenzeichen vereinfacht im kulturellen Bewusstsein existieren. Seine Arbeiten beziehen sich eher auf eine allgemeine kulturelle Rhetorik der Bilder als auf die Kunstgeschichte; sie rufen das kulturelle Gedächtnis in uns allen auf.