... Andrea­ Kathrin Loewig. Sie ist bekannt aus der Serie „In aller Freundschaft“. Foto: dpa-Zentralbild

Am Telefon mit der besten Freundin spricht man anders als mit dem Vorgesetzen. Sprachforscher sagen, dass es in Gesprächen wichtiger sei wie man etwas sagt, als was man sagt.

Berlin - Am Telefon mit der besten Freundin spricht man anders als mit dem Vorgesetzen. Sprachforscher sagen, dass es in Gesprächen wichtiger sei wie man etwas sagt, als was man sagt.
 
Herr Sendelmeier, wenn man jemanden nur vom Telefon her kennt, ist man überrascht, wenn man ihn sieht. Woran liegt das?
Hört man eine Stimme, sind ein paar Dinge sofort klar, vor allem Geschlecht und Alter des Sprechers. Wir haben zu dem Thema umfangreich geforscht und ermittelt, dass die Schätzgenauigkeit beim Alter im Schnitt bei plus/minus fünf Jahren liegt. Auch über Statur und Körpergröße lassen sich zuverlässige Aussagen machen. Aus den Erfahrungen, die man macht, leitet man bestimmte Wahrscheinlichkeiten ab. Wenn sie im Einzelfall nicht stimmen, ist man überrascht.
Sind wir nicht auch von Vorurteilen geprägt? Wer piepsig spricht, wirkt auf andere oft naiv.
Klein-Mädchen-Stimmen werden mit bestimmten Stereotypen assoziiert. Das ist denn auch ein Problem für Frauen mit sehr hohen Stimmen: Sie werden als naiv und wenig kompetent eingestuft und stehen sich selbst durch eine zu hohe Stimmlage oft auch beruflich im Weg.
Zeigt sich denn die Persönlichkeit eines Menschen auch in seiner Stimme?
In weiten Zügen ja. Wenn wir einem Menschen zum ersten Mal begegnen, verwerten wir jede verfügbare Information, um zu erfahren: Geht von ihm Gefahr aus? Ist er hilfsbereit oder aggressiv? Dabei fällen wir unbewusst Urteile. Die komplexeste Informationsquelle, die wir haben, ist die gesprochene Sprache. Die Art und Weise, wie gesprochen wird, ist dabei entscheidender als der Inhalt. Menschen können über den Inhalt ihrer Worte leichter lügen als über Stimmklang und Sprechweise. Wir klingen anders, je nachdem, ob wir ängstlich, zornig, fröhlich oder traurig sind. Nur guten Schauspielern gelingt es, sich zu verstellen.
Welche Faktoren prägen eine Stimme?
Man muss zunächst den Stimmklang und die Sprechweise voneinander unterscheiden. Beim Stimmklang sind beispielsweise die Länge der Stimmlippen im Kehlkopf und der allgemeine Muskeltonus entscheidend für die Tonhöhe. Die Tonhöhe aber sagt noch nichts darüber aus, ob man eine helle oder dunkle Stimme hat. Hierfür ist das Klangspektrum verantwortlich. Der Vokal „I“ klingt etwa heller als „O“ oder „U“, auch wenn die Tonhöhe gleich ist. Weitere Aspekte sind, wie heiser und wie zittrig die Stimme klingt.
Stimmt es, dass man anhand der Stimme auch chronische Krankheiten erkennen kann?
Da gibt es tatsächlich Forschungsansätze, vor allem bezüglich Depressionen und der Neigung zum Suizid. Wie bei Trauer ist die Stimme bei depressiven Menschen eher monotonisiert und abgesenkt. Sie kippt öfters ins Knarrige ab, und die Betonung ist weniger ausgeprägt. Bei ADHS, Aufmerksamkeitsstörung bei Kindern, lassen sich stimmliche Merkmale erkennen, die mit der medizinischen Diagnose zusammenhängen. Außerdem kann man bei Parkinson und Demenz Hinweise in der Sprache finden.
Haben sich die Stimmen verändert?
Frauenstimmen haben sich in den letzten hundert Jahren abgesenkt. Das hängt mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft zusammen. Bis 1971 gab es im Fernsehen keine Nachrichtensprecherinnen, weil man ihre Stimmen für zu hoch und zu emotional hielt. Die ersten Frauen, die man ans Mikrofon gelassen hat, hatten tiefe Stimmen. Auch die Nachrichtensprecherinnen von heute klingen tief. Gundula Gause etwa hat eine mittlere Stimmlage von circa 180 Hertz, das ist deutlich tiefer als der Durchschnitt. Es gibt auch kulturelle Unterschiede: Norwegerinnen sprechen beispielsweise tiefer als Japanerinnen.
Stimmen sind also nicht angeboren?
Ja, der biologische Anteil wird allgemein weit überschätzt. Natürlich ist die Anatomie des Sprechapparates genetisch festgelegt. Sie lässt aber einen erheblichen Spielraum. Was daraus gemacht wird, hängt mit dem Spracherwerb zusammen. Dabei werden wir durch unsere Sprachumgebung geprägt, vor allem durch unsere Bezugspersonen.
Oft hören sich enge Verwandte, etwa Brüder, ja zum Verwechseln ähnlich an.
Es gibt große Ähnlichkeiten innerhalb von Familien. Das kann durch Genetik oder Erworbenes bestimmt sein. Für beides sind die Eltern verantwortlich.
Inwiefern kann man seine Stimme verändern, um gut anzukommen?
Man kann an der Stimme arbeiten, vor allem aber an der Sprechweise, also an Betonung, Aussprache und Rhythmus. Komplett umkrempeln sollte man sie aber nicht. Da Stimme und Sprechweise Ausdruck der Persönlichkeit sind, kann das nämlich schiefgehen.
Welche Ratschläge geben Sie beispielsweise Vielrednern wie einem Politiker oder einem Lehrer?
Allerwelttipps bringen nichts, weil jeder Fall anders gelagert ist. Ein persönlicher Stimmtrainer arbeitet gezielt an den Schwächen. Einen seriösen Trainer erkennt man daran, dass er sich nicht einer bestimmten Methode verschrieben hat, etwa nur bestimmte Atemübungen oder Techniken der Gesangspädagogik einsetzt, sondern eine große Bandbreite an didaktischen Möglichkeiten für seine Klienten bereithält. Was bei einem Schüler gut funktioniert, klappt beim nächsten vielleicht gar nicht. Auch das übergeordnete Ziel muss vor dem Training individuell festgelegt werden. Lehrer zum Beispiel brauchen in ihrem Sprechberuf Hilfen für einen stimmschonenden Einsatz der Stimme im Unterricht. Politiker im Wahlkampf brauchen eher Tipps für einen kämpferischen und begeisternden Sprechstil.