Industriefluss: der Neckar in Stuttgart Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Was wurde eigentlich aus dem Neckar? Eine Frage, die sich bei sommerlicher Hitze dringlich stellt. Die Antwort: Er ist noch da, doch seine Erweckung in Stuttgart lässt auf sich warten.

Stuttgart - . . . und die Menschen suchten nach Abkühlung, und sie suchten Wasser, und sie strömten zu den Brunnen am Stuttgarter Schlossplatz, die dort vor 153 Jahren zu Ehren König Wilhelms I. aufgestellt wurden. Und sie streckten ihre dampfenden Füße in die Brunnenschalen, und sie rätselten, warum es eigentlich nicht viel mehr einladende Wasserstellen in ihrer eigentlich wasserreichen Stadt gibt.

Und die Kunstinteressierten unter ihnen betrachteten die am südlichen Brunnen erhaltenen Putten, die die Flüsse Kocher, Fils, Enz und Neckar darstellen, und sie erinnerten sich daran, dass es irgendwo in Stuttgart einen Fluss dieses Namens geben muss, ähnlich versteckt wie der in den Untergrund gezwungene Nesenbach. Und sie machten sich auf die Suche. Und bei Cannstatt wurden sie fündig, doch was sie dort entdeckten, verdiente den Namen Fluss nicht. Sie standen vor einer Bundeswasserstraße. Und so sieht der Neckar auch aus.

Was ist eine „Neckarperle“?

Und beim Anblick des trostlosen, einstmals reißenden Gewässers, das eigentlich im Herzen Stuttgarts liegen müsste, kam den Wassersuchenden in den Sinn, dass ihr Oberbürgermeister Fritz Kuhn vor drei Jahren mit dem Willen angetreten ist, den Neckar in die Stadt zu holen beziehungsweise die Stuttgarter mit ihrem Fluss überhaupt in Kontakt zu bringen. Und die hoffentlich zahlreichen Zeitungsleser unter ihnen erinnerten sich daran, dass der Oberbürgermeister im vergangenen Jahr einen „Masterplan Neckar“ aufstellte und versprach, von 2017 an jedes Jahr „eine Neckarperle“ zu realisieren. Und die Menschen fragten sich, was eine „Neckarperle“ ist, und diejenigen unter ihnen, die mehr vom Neckar kennen als sein Stuttgarter Erscheinungsbild, verwiesen auf die Zugwiesen in Poppenweiler – ein großartiges Beispiel für die Renaturierung des Industrieflusses.

Hartnäckiges Badeverbot

Und die kommunalpolitisch Interessierten machten darauf aufmerksam, dass sich in Stuttgart ja auch etwas tut, dass der Masterplan nicht nur auf dem Papier steht, sondern erste Neckar-Projekte verwirklicht werden wie die Erschließung des Neckarufers beim Lindenschulviertel in Untertürkheim. Und dass neue Brücken über den Fluss geschlagen werden und alte wie die Eisenbahnbrücke erhalten bleiben sollen. Und dass man sich die Erweckung des Neckars etwas kosten lässt. Und denjenigen, denen das angesichts der Hitze alles viel zu langsam geht, erkundigten sich, wie das eigentlich ist mit dem seit 1978 bestehenden Badeverbot im Neckar. Sie erinnerten sich, dass alle Versuche, das Verbot zu lockern, auf taube Ohren stießen und schüttelten den Kopf über den wasserscheuen Baubürgermeister Peter Pätzold, der in der Diskussion um eine Lockerung des Badeverbots unlängst erklärte: „Die Hand ins Wasser zu halten ist ja auch schon etwas.“ Danke!

Und wer nach anderen natürlichen Bademöglichkeiten in Stuttgart suchte, der rätselte über das Badeverbot an den Bärenseen, das unter fadenscheinigen Gründen (angebliche Trinkwasserreserve) aufrechterhalten wird. Und er pilgerte anschließend in die Mineralbäder in Cannstatt, die weit und breit das Beste darstellen, was diese Stadt in Sachen H2O zu bieten hat. Und die anderen hielten ihre Füße in die Brunnenschalen am Schlossplatz und träumten von „Neckarperlen“. Und es war Sommer 2016. http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.neckarpoesie-in-bad-cannstatt-von-giftmoerdern-und-bombenbauern.32f93eb0-92a6-4089-8ff1-5b31b936e4b1.html?reduced=true

jan.sellner@stzn.de