SPD-Chef Sigmar Gabriel Foto: dpa

SPD-Chef Sigmar Gabriel passt sich dem Merkel-Kurs an – was auch sonst?, fragt unser Kommentator Wolfgang Molitor

Berlin - Die SPD rüstet sich. Schließlich darf mal wieder gefeiert werden. An diesem Sonntag nach der Hamburger Bürgerschaftswahl, bei der es nur noch um die Höhe Sieges (und die Verteidigung der absoluten Mehrheit) geht. Am 10. Mai dann in Bremen, wo man ebenfalls traditionell konkurrenzlos vorne liegt. Dann wird man sich auch im Berliner Willy-Brandt-Haus, der Bundeszentrale, in die Brust werfen und alles daransetzen, Zuversicht über den Elbe- und Weserstrand hinaus zu verbreiten. Auch wenn alle Sozialdemokraten genau wissen: Die beiden Hansestädte sind Muster ohne Wert.

Wie auch die beeindruckende SPD-Machtbreite quer durch diese Republik. Die Partei ist an 14 der 16 Landesregierungen beteiligt; sie stellt neun von 16 Ministerpräsidenten sowie in neun der zehn größten deutschen Städte den Oberbürgermeister. Sieht man dagegen die Ergebnisse der beiden letzten Bundestagswahlen (2009 sackte die SPD auf das historische Tief von 23 Prozent, 2013 waren es mit 25,7 Prozent kaum mehr) und die aktuellen Umfragedaten, die – wäre an diesem Sonntag Bundestagswahl – allesamt keinen Zuwachs prognostizieren, dann gilt bundespolitisch gesehen auch hier: viele Muster ohne Wert.

Sigmar Gabriel kommt nicht richtig voran. Der durchaus berechtigte Eindruck, wonach die SPD zwar die Bundestagswahl deutlich verloren, die Koalitionsverhandlungen aber klar gewonnen hat, beginnt auf der sozialdemokratischen Haben-Seite langsam, aber sicher zu verblassen. Und damit Gabriels allergrößter Coup. Mindestlohn und Rentenreformen – sie werden auch von der SPD-Basis abgehakt, als wäre ihre Durchsetzung das Einfachste und Selbstverständlichste von der Welt gewesen. Nur weil die große Union nicht mal hinter dem breiten Rücken der Kanzlerin ernstzunehmend aufmuckte. Gabriels genialer Streich verpufft im Koalitionsalltag. Und die anderen großen Themen werden von Angela Merkel besetzt.

Der SPD-Chef weiß, dass er die Große Koalition hegen und pflegen muss, schließlich ist sie vor allem sein ureigenes Baby. Hinzu kommt, dass ein offener Koalitionsstreit für die SPD zurzeit keine Früchte tragen wird. Was sogar die Parteilinke (noch) zu begreifen und zu akzeptieren scheint. Denn die hohen Popularitätswerte der Kanzlerin zeigen, dass eine große Mehrheit der Bundesbürger Merkels pragmatischen Kurs der Resilienz (der Fähigkeit, mit Veränderungen umgehen zu können) zu schätzen weiß. Aller gefährlichen Nachteile zum Trotz, damit lediglich die Realität, nicht aber Möglichkeiten und Gestaltungsziele zu definieren. Gleichwohl: Auch wenn Merkel beim Euro wie in der Ukraine nur auf Sicht fährt – den Wähler beruhigt’s.

Was also soll Gabriel tun? Für den großen Streit fehlt es ihm an der nötigen Kraft. Und so rückt er noch näher ran an die Kanzlerin, passt sich im Großen an, wirbt energisch und wie im Alleingang für die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA. Pfeift das Steuererhöhungsgeschrei der Parteilinken zurück. Zeigt sich interessiert für die Nöte und Ängste des bürgerlichen Pegida-Mainstreams. Und schert sich auch bei Euro-Krisen-Thema Griechenland nicht um das SPD-Geschwätz von gestern, das noch im letzten Wahlkampf über gemeinsame Staatsanleihen mehrerer EU-Staaten, von einem europäischen Schuldentilgungsfonds, einer flexiblere Anwendung des Stabilitätspakts und einer Lockerung des Sparkurses schwadroniert hatte.

Große SPD-Sprünge verspricht der wenig Profil bildende Mitte-Kurs nicht – auch wenn er der deutschen Außenpolitik guttut und im Innern für kostbare Berechenbarkeit sorgt. Bleibt nur die Frage: Wie soll aus diesem braven Unterstützer demnächst ein Herausforderer auf Augenhöhe werden?