An Weihnachten sind die Kirchen voll – sonst nur noch selten Foto: epd

Weihnachten ist das Fest der vollen Gotteshäuser. Auch wer sich das ganze Jahr über nicht in einer Kirche blicken lässt, an Heiligabend ist ein Besuch beim Herrgott für viele immer noch selbstverständlich.

Weihnachten ist das Fest der vollen Gotteshäuser. Auch wer sich das ganze Jahr über nicht in einer Kirche blicken lässt, an Heiligabend ist ein Besuch beim Herrgott für viele immer noch selbstverständlich. Rund 40 Prozent der Deutschen wollen auch in diesem Jahr wieder dabei sein, wenn es heißt: „Der Friede des menschgewordenen Herrn sei mit euch.“ Volle Kirchen – da freuen sich Pfarrer und Pastoren. Sonst predigen sie meist vor leeren oder halbleeren Bänken. Laut Kirchenstatistik besuchen durchschnittlich 10,8 Prozent der Katholiken und 3,7 Prozent der Protestanten sonntags einen Gottesdienst. Zusammen sind das drei bis vier Millionen Gläubige – je nach Feiertag und Wetterlage. „Eine Zahl, die sich neben Teilnehmerzahlen sonstiger Veranstaltungen wie Sport- oder Museumsbesuch sehen lassen kann“, heißt es aufmunternd und etwas trotzig auf der Webseite der Deutschen Bischofskonferenz.

Doch was ist mit dem großen Rest? Die Mehrheit der 24,3 Millionen Katholiken und 23,4 Millionen Protestanten in Deutschland sieht eine Kirche nur bei besonderen Anlässen wie Taufe, Kommunion oder Konfirmation von innen. Die Verkünder der Frohen Botschaft müssen heute froh sein über jeden, der mitfeiert. Vorbei die Zeiten, in denen der Pfarrer in seiner Weihnachtspredigt die Halbherzigen und Gelegenheitschristen abkanzelte und ihnen mit dem Fegefeuer drohte.

Wenn man so selten am Gemeindeleben teilnimmt, könnte man auch gleich ganz ohne formale Zugehörigkeit zu einer Kirche Christ sein. Diese Ansicht vertreten laut einer Emnid-Umfrage 84 Prozent der Deutschen, zugleich bezeichnen sich 75 Prozent gegenüber der Bertelsmann-Stiftung als „religiös“. Christ sein ohne Kirche – wie passt das zusammen? Die englische Sozialforscherin Grace Davie hat für dieses weit verbreitete Phänomen den Begriff „Believing without belonging“ – Glaube ohne Mitgliedschaft – geprägt. Einerseits ist die traditionelle religiöse Praxis wie Gottesdienstbesuche und Gebete rückläufig, andererseits schätzen viele die soziale Arbeit der Kirchen und wollen sie als Anlaufstelle an biografischen Wendepunkten oder in Lebenskrisen nicht missen.

Der Bedeutungsrückgang der Kirchen geht einher mit einem Aufschwung individueller Religiosität. An die Stelle kollektiver Gewissheiten und unverrückbarer Wahrheiten tritt immer mehr die persönliche Glaubensentscheidung. Unaufhaltsam scheint der „Trend zur frei flottierenden Religiosität“, wie es der Religionssoziologe Detlef Pollack nennt. Jesus und Buddha, Zen-Meditation und Rosenkranz-Gebet, Wiedergeburt und Auferstehung – die religiöse Bastelmentalität kennt keine Grenzen. An irgendetwas glaubt schließlich jeder. Man muss kein frommer Katholik sein, um Papst Franziskus zu bewundern oder bei der Heiligabend-Messe gerührt zu sein. Als „Homo religiosus“ ist der Mensch von Natur aus ein Glaubender. Ohne die Suche nach dem Sinn und der Sehnsucht nach dem „Ganz-Anderen“ ließe sich das Leben nur schwer bewältigen und ertragen.

Glaube ist aber nie nur Privatsache, sondern drängt zur Tat und muss gelebt werden. Glaube braucht andere, mit denen man ihn teilen kann. Ohne Gemeinschaft würde er verkümmern, ohne Dialog und Weitergabe versanden. Christ sein kann man mit oder auch ohne formale Mitgliedschaft in einer Kirche. Denn Kirche ist mehr als nur die äußerlich sichtbare Organisation und Behörde: Sie ist die Gemeinschaft aller Glaubenden – der Frommen und Heiligabend-Kirchgänger genauso wie der Ausgetretenen, von denen sich viele weiter als Christen und Glaubende verstehen. Christ sein ohne Kirche – das geht sehr wohl. Aber Christ sein ohne Gemeinschaft – das geht nie!