NSU-Prozess in München Foto: dpa

Zu lange hatten Neonazis hier die Chance, ihre kruden Ansichten, als Zeugenaussage verpackt, in die Welt zu posaunen. Ordnungsmittel müssen im NSU-Prozess nicht nur angedroht, sondern auch angewendet werden, kommentiert Franz Feyder

München - Alles wie immer: Den Kopf gesenkt, mit schnellem Schritt huscht Beate Zschäpe gestern in die Mitte von Heer und Sturm. Sucht inmitten der Roben ihrer beiden Pflichtverteidiger Schutz vor den Objektiven der Fotografen. Kaum sind die verschwunden, packt die Hauptangeklagte ihre Bonbons aus und rückt sie nach links, zu Wolfgang Heer und dessen Drops. Seit dem ersten Prozesstag des NSU-Verfahrens im Mai 2013 ist das eine Übereinkunft: Aus diesen Dosen naschen wir gemeinsam unsere Gummibärchen und Pfefferminze. Alles wie immer. 

Oder doch nur fast so? Kurz nach der Bonbon-Rückerei hatte Richter Manfred Götzl den Antrag der Rechtsextremistin abgelehnt, ihr neue Verteidiger zur Seite zu stellen. Zschäpe hatte am vergangenen Freitag ihren Misstrauensantrag damit begründet, sie sei mit der Art und Weise nicht einverstanden gewesen, wie ihre Anwälte den Neonazi und früheren Weggefährten Tino Brandt befragt hatten. Eine Begründung, die sich auch wie eine Entschuldigung für den Trubel lesen lässt, den sie mit ihrem Antrag ausgelöst hat. Es sei nicht erkennbar, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Zschäpe und ihren drei Advokaten Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm zerrüttet sei, wies Götzl den Zschäpe-Antrag zurück – und begann, die erste Zeugin zu vernehmen. 

Doch es gibt keinen Grund, an diesem 129. Verhandlungstag im Gerichtssaal A101 des Münchener Oberlandesgerichtes einfach zur Tagesordnung überzugehen. Zu lange ist gelogen worden, dass sich die Balken biegen. Zu lange hatten Neonazis hier die Chance, ihre kruden Ansichten, als Zeugenaussage verpackt, in die Welt zu posaunen. So konnte sich ein Rechtsradikaler wie Tino Brandt als Friedensengel aufführen, ohne dass er auf die Widersprüche in seinen eigenen Aussagen wie auch in denen anderer Zeugen auch nur angesprochen worden wäre. 

Ungeahndet blieb auch die patzige Antwort des Neonazis Thomas Gerlach: Der Opferanwalt möge doch alle seine Fragen hintereinander stellen, dann brauche er nur einmal zu antworten, dass er sich nicht erinnere. Und als ein hessischer Verfassungsschützer viereinhalb Stunden leugnete, mit seinem unter Mordverdacht stehenden Mitarbeiter telefoniert zu haben, akzeptierte Götzl auch dies. Obwohl ihm das Abhörprotokoll dieses Telefonats vorlag. Jedem Neonazi, jedem Staatsdiener, jedem Prozessbeobachter ist klar: In diesem Gerichtssaal musst du alles sagen, nur nicht die Wahrheit. 

Erstaunlich, dass gerade Zschäpe darauf reagiert und ihre Anwälte offenbar gedrängt hat, den Zeugen Brandt in die Mangel zu nehmen. Der hatte in seiner Aussage jovial dem von ihm gegründeten Thüringer Heimatschutz das Image eines Knabenchors verpasst. Dabei hatten Polizisten in dessen angemieteter Kneipe das größte Waffenlager ausgehoben, das bisher in Thüringen gefunden worden war. Im Prozess hatte Brandt Zschäpe belastet und gefaselt, deren Jenaer Kameradschaft sei eine „elitäre, weltanschaulich gefestigte“ Truppe mit Hang zu konspirativen Aktionen gewesen. 

Natürlich war die Zschäpe-Truppe das. Sie war aber auch umgeben von zahllosen Tino Brandts, die solche Aktionen forderten und förderten – „Taten statt Worte“. Auch das herauszuarbeiten ist eine Aufgabe des Gerichtes, wenn das Verfahren für die Opfer der zehn dem NSU zur Last gelegten Morde wie auch die Gesellschaft wieder „Rechtsfrieden“ herstellen soll. Also die Waage der blinden Justitia wieder ins Gleichgewicht kommen soll. Am morgigen Donnerstag hat Götzl dazu die Möglichkeit, wenn er Thomas Gerlach Ordnungsmittel nicht nur androht, sondern sie endlich auch anwendet.

f.feyder@stn.zgs.de