Vor dem Endspurt: die sechs Spitzenkandidaten für die baden-württembergische Landtagswahl. Dieses Bild zeigt sie als Podiumsgäste im Treffpunkt Foyer der Stuttgarter Nachrichten am 24. Februar 2016, von links: Guido Wolf (CDU), Nils Schmid (SPD), Hans-Ulrich Rülke (FDP), Jörg Meuthen (AfD), Bernd Riexinger (Linke) und Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: dpa

Die Landtagswahl in Baden-Württemberg 2016 verspricht Spannung pur. Das ist ein Grund, am Sonntag wählen zu gehen – aber beileibe nicht der einzige, meint unser Autor Christoph Reisinger

Stuttgart - Da geht noch was. Zugegeben, die Beteiligung von 66,3 Prozent der Berechtigten an der Abstimmung über das baden-württembergische Parlament vor fünf Jahren war für eine Landtagswahl nicht schlecht. Aber dieses Mal scheint der Ausgang so offen, geht es um so viel, dass das Wahlrecht gerade am kommenden Sonntag für selbstbewusste Demokraten zur Lust und nicht zur Last wird.

Obwohl zwei Themen die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt befeuern, die zwar eine landespolitische Dimension haben, dem Zugriff der Landespolitik aber weitgehend entzogen sind: Zum einen die Probleme und Sorgen, die durch die Einwanderung von rund einer Million Menschen nach Deutschland im vergangenen Jahr ausgelöst worden sind, zum anderen das republikweite Aufkommen einer neuen Partei. Sie, die AfD, markiert den äußeren rechten Rand im Spektrum jener Kräfte, die sich tatsächlich Hoffnung auf Sitz und Stimme im neuen Stuttgarter Landtag machen dürfen.

Diese beiden Aspekte haben den Wahlkampf geprägt. Und ganz besonders seine Wahrnehmung durch den größten Teil der Bürger und der Medien. Wie könnte es angesichts der Wucht und des Neuigkeitswertes beider Faktoren auch anders sein?

Nur, es wäre halt falsch darüber zu vergessen, worum es am Sonntag tatsächlich geht: per Stimmabgabe persönlich Einfluss zu nehmen auf die Neujustierung der Machtverhältnisse im Land. Darauf, wie es die kommenden fünf Jahre weitergeht mit Bildung, Arbeitsplätzen, öffentlichen Finanzen, Straßen, Breitband- und Stromnetz. Also mit der Wettbewerbsfähigkeit dieses schönen Landes. Und auch mit dem Zusammenhalt in seiner Gesellschaft.

Demokratie lebt vom Mitmachen

Klar, das Recht darüber abzustimmen, teilt sich jeder Wahlberechtigte mit weiteren 7,7 Millionen Baden-Württembergern. Aber das ist so wenig ein Grund, darauf zu verzichten, wie die Tatsache, dass nicht jede Partei etwas total anderes will als die anderen. Wer genauer hinsieht – etwa indem er regelmäßig Zeitung liest – nimmt die konkurrierenden Kräfte als klar unterscheidbar wahr. Allen Verkürzungen auf nur manchmal gelungene Schlagwörter in der Wahlwerbung zum Trotz. Im Sinne einer funktionierenden Demokratie ist das ein Plus.

Zu den auffälligen Pluspunkten dieser Baden-Württemberg-Wahl zählt auch das Format der Spitzenkandidaten, mit denen die sechs stärksten Parteien ins Rennen gehen. Da mag man an jedem etwas aussetzen können und die politischen Ideen ablehnen, für die der eine oder der andere steht. Aber wer auf Landtagswahlen zu anderen Zeiten oder in anderen Bundesländern schaut, kann im Vergleich nur zu dem Ergebnis kommen: Unter den Top-Leuten in Baden-Württemberg tummeln sich dieses Mal keine Politiker-Darsteller. Das sind tatsächlich Politiker.

Was beileibe keine Selbstverständlichkeit ist in Zeiten, in denen es Parteien immer schwerer fällt, Aktive an sich zu binden. Wer noch schwankt, ob er am Sonntag seine Stimme abgeben soll, möge sich auch deshalb einen Ruck geben: Demokratie lebt vom Mitmachen.

Jene, die das System der repräsentativen Demokratie schlecht reden, ziehen seit Monaten durch die Straßen und brüllen voller Anmaßung, sie seien das Volk. Das stimmt aber nicht. Das Volk sind jene, die den Wert des freiheitlichen Staates und seiner demokratischen Grundordnung über alle seine Schwächen hinweg nicht aus den Augen verlieren. Nicht zuletzt das lässt sich per Stimmabgabe deutlich machen. Gerade jetzt.

c.reisinger@stn.zgs.de