Die AfD kritisch zu hinterfragen, ist gut und richtig. Aber jede Forderung der Partei zu skandalisieren, ist kontraproduktiv.

Stuttgart - Die hohe Zahl an Asylbewerbern bedroht unseren Wohlstand. Darf man so einen Satz sagen? In Deutschland besser nicht. Deutschland hat eine unselige Vergangenheit, hat andere Völker überfallen und Millionen Juden ermordet. Deshalb wird man in Deutschland für so einen Satz erst einmal in die rechte Ecke gestellt. Das Urteil lautet: fremdenfeindlich.

Andere Völker sind da weiter, pragmatischer, rationaler. Gegen Deutschlands Willen wurde der Flüchtlingszustrom über die Balkan-Route gestoppt. Kanzlerin Merkel ist mit ihrer Haltung in der Europäischen Union weitgehend isoliert und hat sich in der Not auf einen fragwürdigen Deal mit dem selbstherrlichen türkischen Präsidenten Erdogan eingelassen. Ob das eine moralisch höherwertige Politik ist, darf man bezweifeln, zumal man die anmaßende Kritik aus dem Kanzleramt an Ländern wie Ungarn und Österreich durchaus auch als fremdenfeindlich einstufen könnte. Dass der Druck auf die EU-Außengrenzen und der Drang vieler Flüchtlinge nach Deutschland durch den Deal dauerhaft nachlassen, ist ebenfalls fraglich. Die meisten EU-Staaten wollen nicht in großer Zahl weitere Flüchtlinge aufnehmen – ob sie nun legal oder illegal einreisen.

Deutschland hat zudem seine hohen finanziellen Anreize noch immer nicht genügend abgesenkt, was es weiter zum Zielland Nummer Eins für Flüchtlinge macht. Vor wenigen Wochen hat der stellvertretende EU-Kommissionspräsident Frans Timmermans die Lage so beschrieben: In der Flüchtlingskrise habe sich ein „Asylshopping“ entwickelt, bei dem sich die Betroffenen das für sie vermeintlich attraktivste Land aussuchten. Auch so ein Satz, den ein niederländischer Politiker sagen darf, ein deutscher aber besser nicht. Der Begriff „Sozialtourismus“ wurde hierzulande ja Anfang 2014 zum Unwort des Jahres erklärt.

Kein Grund, sich an Hitler-Deutschland erinnert zu fühlen

Gewinner der Flüchtlingskrise ist die Alternative für Deutschland (AfD). Die rechtspopulistische Partei wird vor allem aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik gewählt und inzwischen von den anderen Parteien als Bedrohung ihrer Ämter und Mandate ernst genommen. Dies ist in einer Demokratie nicht ehrenrührig, und eine harte Auseinandersetzung mit der AfD ist ebenso sinnvoll wie ein kritischer Blick in ihr Programm. Es sollte nur einigermaßen sachlich zugehen, sonst wird es kontraproduktiv. Derzeit geht es allzu oft darum, Sätze von AfD-Größen zu skandalisieren, auch um eine Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz herbei zu reden. Eine plumpe Verteuflung der AfD dürfte aber viele ihrer Anhänger dem Politikbetrieb noch mehr entfremden.

Die jüngste Aussage der AfD, der Islam sei unvereinbar mit dem Grundgesetz, ist zum Beispiel wahrlich nichts Neues. Das sagen selbst Rechtsexperten seit vielen Jahren. Auch das von der AfD angestrebte Verbot von Minaretten oder Burkas ist noch kein Grund, sich an Hitler-Deutschland erinnert zu fühlen, wie dies der Zentralrat der Muslime am Montag tat. Es sei denn, man würde Länder wie Frankreich, Belgien oder die Schweiz ebenfalls als Nazi-Diktaturen bezeichnen wollen. Dort gibt es nämlich schon solche Verbote.

Offenbar kommt es in Deutschland ganz besonders darauf an, wer etwas sagt. Dann aber sollte man mit dem Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit vorsichtig umgehen. Die Ansicht, dass die hohe Zahl an Asylbewerbern unseren Wohlstand bedrohe, wird Umfragen zufolge deutlich stärker von Menschen mit Migrationshintergrund geteilt als von denen ohne. Migranten aber, die fremdenfeindlich sind, kann es im politisch korrekten Deutschland doch eigentlich gar nicht geben.

rainer.wehaus@stuttgarter-nachrichten.de